Ja, Bochum war Fahrradstadt – bis etwa 1960.
2019 hat die Stiftung GLS Treuhand e.V. Bochum erstmals zur Teilnahme am Projekt “Stadtteil-Historiker Ruhrgebiet“ aufgerufen.
Das in Frankfurt am Main entwickelte Konzept wendet sich an Laienhistoriker.
Teilnehmende erhielten die Möglichkeit, mit Unterstützung durch den Historiker Dr. Dietmar Bleidick ein stadtgeschichtliches Thema eigener Wahl zu bearbeiten. Dazu gab es eine Finanzspritze.
Dokumentiert ist die 1. Staffel hier:
https://gls-treuhand.de/aktuelles/2021/stadtteil-historiker/
Die Bewerbung mit dem Thema „100 Jahre Radfahren in Bochum“ war erfolgreich und von 2019 bis 2021 wurde das engagierte und anspruchsvolle Projekt mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfern und Beratern durchgeführt.
Ziel war zum einen die Erfassung und Dokumentation der Entwicklung der Fahrradkultur und des historischen Radverkehrsnetzes in Bochum seit etwa 1920. Zum anderen die detaillierte kartographische Erfassung aller aktuell vorhandenen Radwege in Bochum. Das erforderte einen immensen Arbeitsaufwand für die Erfassung und anschließende karthographische Dokumentation im gemeinnützigen OpenData-Projekt “OpenStreetMap“ (OSM).
Erstmals wurde so das Radwegenetz in Bochum qualitativ und quantitativ erfasst. Bis dahin kannte die Verwaltung in Bochum die eigenen Radwege nicht.
Die gesammelten Informationen zu den historischen und aktuellen Radwegen werden aktuell mit Texten und Bildern in einer speziellen OpenStreetMap Karte dokumentiert:
https://umap.openstreetmap.de/de/map/historische-radwege-bochum_15018
uMap ist eine Open-Source-, WTFPL-lizenzierte Software. Damit kann man benutzerdefinierte Karten mit OpenStreetMap-Hintergründen erstellen. Entwickelt wurde uMap von der französischen Community OSM Community. Der FOSSGIS e.V. betreibt eine Instanz in Deutschland unter der URL https://umap.openstreetmap.de.
Außerdem hat Ute Leschny, die Koordinatorin und informelle Leiterin des Stadtteil-Historiker-Projekts „100 Jahre Radfahren in Bochum“ eine reich bebilderte Broschüre zur Fahrradkultur in Bochum seit etwa 1890 erstellt. Die Broschüre enthält ein umfangreiches Literaturverzeichnis und dokumentiert auch die Kartierunganleitung für die Erfassung der Radwege.
Die Broschüre steht hier in zwei Versionen zum Download zur Verfügung:
Web-Optimiert (23 MB): http://bovelo.de/wp-content/uploads/2024/02/Fahrrad_Broschuere_100_Jahre_Radfahren_in_Bochum_150.pdf
Original (188 MB): https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a6/Fahrrad_Broschüre_100_Jahre_Radfahren_in_Bochum.pdf
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Magisterarbeit von Nevana Šešlija: Mobilität im Ruhrgebiet 1945-1990. Das Verschweigen der Drahtesel. (Universität Duisburg-Essen, 2012).
Frau Šešlija weist in ihrer Forschungsarbeit detalliert nach, wie der Fahrradverkehr etwa ab 1950 systematisch aus dem Blick der Öffentlichkeit und dann auch von den Straßen verschwand.
Um 1960 war dieser schleichende Prozess weitgehend abgeschlossen und der Weg frei zur (beinahe) fahrradfreien Autostadt. Erst ab 1960 überrollten die privaten Pkw lawinenartig die Städte und dominieren bis heute unübersehbar die Straßen – vor allem in Form des ruhenden Verkehrs, der allem anderen keinen Raum mehr lässt.
Der Höhepunkt: Radwege im Ruhrgebiet bis 1960. Bochum hat eine hohe Bevölkerungsdichte und ein relativ kleines Stadtgebiet.
Ab 1962 verschwanden die Radwege unter den Autos.
(Grafik: Nevana Šešlija: Mobilität im Ruhrgebiet 1945-1990. Seite 49)
Das führt dann nahtlos zur Gretchenfrage „Wem gehört die Stadt?“
Dazu der Flächen-Gerechtigskeits-Report (Pdf, Berlin 2014):
https://www.clevere-staedte.de/files/tao/img/blog-news/dokumente/2014-08-05_Flaechen-Gerechtigkeits-Report.pdf
und
Fabian Drews: Flächengerechtigkeit und die Verteilung des öffentlichen Straßenraums in Berlin. Eine Untersuchung am Beispiel des Bezirks Berlin-Mitte.
Discussion Paper. TU Berlin 2022 (Pdf):
https://www.zukunftsnetz-mobilitaet.nrw.de/media/2023/2/7/2caea534db53a1220bc621d33344eb38/TU-Berlin-Flachengerechtigkeit-2022.pdf
Andererseits: Copenhagenize! Die aktuellen Spitzenreiter: Kopenhagen, Amsterdam, Utrecht.
https://copenhagenizeindex.eu/
Kreyenfeldstraße Bochum-Werne 1919. Postkarte Sammlung Peter Kracht (Ausschnitt)
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