Vorbehaltsnetz Bochum – Die Kopfstandmethode

Bochum zwischen Innen- und Außenring. Acht Tempo-30-Zonen. Acht Hauptverkehrsstraßen

„Stellen Sie die Frage einfach auf den Kopf.“ Schon entsteht ein ganz anderes Bild. Das Umkehren der Frage eröffnet eine neue Perspektive und damit andere Denkrichtungen.
Francis Picabia hat gesagt: «Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann». Marx hat Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt. Wir wollen die Radwende in Bochum.
Also müssen wir Bochum vom Kopf (Autostadt) wortwörtlich auf die Füße stellen (Fußgänger und Radfahrer). Das geht auch beim Vorbehaltsnetz.

Bochum hat die Frage gestellt: „Welche Straßen könnten im Vorbehaltsnetz aufgegeben werden?“ Das verteidigt den Staus Quo und fällt dementsprechend schwer.

Drehen wir die Frage um: Bochum ist eine Tempo-30-Zone. Welche Straßen können nicht Teil davon sein? Dann ist die Antwort einfach: Autobahnen, Bundesstraßen und Landesstraßen und – vielleicht – noch ein paar andere. Die Hauptverkehrsstraßen in Bochum sind leicht zu erkennen: Sie sind in OpenTopoMap deutlich hervorgehoben.
Ich habe mich in einer ersten Annäherung im Wesentlichen auf das Gebiet innerhalb des Autobahnrings beschränkt. Der Bochumer Autobahnring: A40 – A43 – A448.

Bochum zwischen Innen- und Außenring. Acht Tempo-30-Zonen. Acht Hauptverkehrsstraßen
Bochum zwischen Innen- und Außenring. Acht Tempo-30-Zonen. Acht Hauptverkehrsstraßen.

Stufe 1: Ocker: Autobahnen und (Bundes-)Straßen mit sehr hoher MIV-Belastung
Stufe 2: Gelb: andere Hauptverkehrsstraßen, Landesstraßen
Stufe 3: dünne gelbe Linie, Grau: alle anderen

In Bochum gibt es nur zwei Bundesstraßen:
Die B226 (Wittener und Dorstener Straßen, Innenring) und die B235 (Hauptstraße in Langendreer). Dazu einige Landesstraßen, Zum Beispiel die Herner Straße und Königsallee (L551) und die Castroper Straße / Castroper Hellweg (L654). Die Hattinger Straße ist Kreisstraße (K22). Aber die Universitätsstraße zum Beispiel und der Städtering (Sheffieldring usw.) sind einfache Gemeindestraßen.
Das kann man in der OpenStreepMap einfach ablesen.

Da Bochum kreisfreie Stadt ist, kann Bochum selbst entscheiden, ob eine Straße Kreis- oder Gemeindestraße sein soll. Das ist ein wichtiger Entscheidungsspielraum.

Bochumer Hauptverkehrsstraßen

Auf dem Bochumer Stadtgebiet gibt es nur 14 tatsächliche Hauptverkehrsstraßen. Und schon innerhalb der acht Radialstraßen ist eine Abstufung erkennbar:
Zu jeder Straße ist die Einstufung laut OpenTopoMap und die Berücksichtigung im Radverkehrskonzept der Stadt Bochum (RVK) angegeben. Alle Hauptverkehrsstraßen müssen wegen der Bedeutung für das Verkehrsnetz natürlich auch in einem Radverkehrskonzept berücksichtigt werden.

  1. Herner Straße (Stufe 1), vollständig im RVK. Aber größtenteils gar keine Tempo-50-Straße mehr. Ein Vorbild?
  2. Castroper Straße (Stufe 2), nur teilweise im RVK.
  3. Wittener Straße (Stufe 1, B226), nur teilweise im RVK. War mal ein wichtiger Autobahnzubringer zwischen Nordhausenring und A 43, aber das hat sich durch die A448 erledigt. Kann jetzt „Stadtstraße“ sein, wie schon im Bereich Laer / mark 51°7 geplant..
  4. Universitätsstraße (Stufe 2, Stufe 1 zwischen A448 und A43), nur teilweise im RVK. Das Stück RUB bis A43 fehlt. Das heißt, die RUB hat keine Radverkehrsverbindung Richtung Langendreer und Dortmund.
  5. Viktoriastraße / Königsallee (Stufe 1), vollständig im RVK. Im Gegensatz zu Nr. 1-4 mit der Kosterstraße tatsächlich eine Fernstraße.
  6. Hattinger Straße (Stufe 2), nur teilweise im RVK. Wirklich eine lange Straße.
  7. Alleestraße / Essener Straße / Wattenscheider Hellweg (Stufe 2), vollständig im RVK. Tatsächlich eine Fernstraße Richtung Essen.
  8. Dorstener Straße (Stufe 1, B266), vollständig im RVK.
    Dazu kommen noch:
  9. Südring /Kurt-Schumacher-Platz (Stufe 1, B226), teilweise im RVK. Der ganze restliche Innenring fehlt!
  10. Städtering (Sheffield, Nordhausen, Oviedo), Kraftfahrstraße aber Gemeindestraße.
  11. Castroper Hellweg (Stufe 2, Stufe 1 zwischen A40 und A43), vollständig im RVK.
    Städtering und Castroper Hellweg sind eigentlich auch nur ehemalige Autobahnzubringer (A43-A40-A448). Zusammen bilden sie eine Parallelstrecke zur A43.
  12. Der Straßenzug Ückendorfer – Lyren und Berliner Straße – Zeppelin- und Munscheider Damm (L651 ) – Wuppertaler Straße (L651) (Stufe1, Stufe 2 südlich der A40).
  13. Harpener Hellweg (Stufe 2), teilweise im RVK.
  14. Hauptstraße (Langendreer, B235).

Nur vierzehn Hauptverkehrsstraßen in Bochum

Das heißt: Im Prinzip könnten alle anderen Straßen in Bochum Teil von Tempo-30-Zonen sein, wenn sie die anderen Bedingungen laut StVO und der Verwaltungsvorschrift dazu erfüllen. Bochum hat ungefähr 110 km Straßen, die in die bestehenden Tempo-30-Zonen eingegliedert werden könnten. Eine Änderung am Straßenverkehrsnetz ist dazu gar nicht notwendig.
Der Skandal besteht darin, dass Bochum ein umfangreiches Bürgerbeteiligungsverfahren durchgeführt hat und sehr viele gut begründete Vorschläge für mehr Tempo 30 erhalten hat – nur um danach restlos alle Bürgeranregungen abzulehnen!
Beste Beispiele dafür sind Bergstraße und Friederikastraße.

Das Radverkehrskonzept selbst stellt unter anderem zur Herner und Dorstener Straße fest, dass hier die Ansprüche des Autoverkehrs gegen den Radverkehr durchgesetzt wurden:

»Besonders die Haupteinfallstraßen von Bochum wie die Herner Straße sind stark vom motorisierten fließenden Verkehr geprägt, sodass den Radfahrenden nur ein geringer Raum zugeordnet wird.« (S. 74)

»Auffällig ist, dass viele Abschnitte mit Radfahrstreifen, trotz der Toleranzbereiche, das Regelmaß um rund 30 Zentimeter verfehlen. Als Beispiele sind hier der nördliche Teil der Herner Straße als auch die Dorstener Straße zu nennen. (S. 90)

Parken oder Radfahren – das ist die Frage

In vielen Fällen ist gar nicht genug Platz für vier Fahrstreifen plus Radfahrstreifen – besonders im Kombination mit der Straßenbahn. Aber die größte Einschränkung des verfügbaren Straßenraums verursacht der ruhende Kfz-Verkehr. Parken oder Radfahren – das ist die Frage.
Beispiel Königsallee: Sie wurde als Prachtboulevard – für Fußgänger – geplant und gebaut. Das sollte sie bis zur A448 auch wieder sein: Historisches Ehrenfeld – Königsallee – ein Vorbild für heute?

Ganz Bochum als Tempo-30-Zone, außer …

Wenn man nur die acht Radialstraßen mit dem Innenring aus der gedachten Tempo-30-Zone entfernt:
Dann besteht Bochum innerhalb des Außenrings aus acht Tempo-30-Zonen. Warum denn nicht?
Welche weiteren angeblichen „Hauptverkehrsstraßen“ liegen denn innerhalb dieser Tempo-30-Zonen?
In der OpenTopoMap sind das die dünnen gelben Linien.
Innerhalb des Autobahnrings:
Bergstraße – Gersteinring – Lohring – Steinring – Waldring – Hunscheidtstraße – Wasserstraße – Auf der Heide – Oskar-Hoffmann-Straße – Ferdinandstraße – Bessemerstraße – Kohlenstraße – Bochumer Straße.
Außerhalb des Autobahnrings beispielsweise:
Markstraße – Weitmarer Straße – Kohlenstraße

Speed kills und Stress auch

Muss auch nur eine dieser Straßen wirklich Tempo 50 haben oder ist das nur Gewohnheit?
Auf vielen Straße dieser Kategorie ist es schon jetzt de facto gar nicht möglich, Tempo 50 zu fahren. Wenn man zur Beruhigung Tempo 30 einführt, ist der Zeitverlust kaum messbar. Die Ruhe schon.

Außerhalb des Autobahnrings bis zur Stadtgrenze kann man nach demselben Schema vorgehen. Warum denn nicht?

Das Vorbehaltsnetz ist laut StVO ein Vorfahrtstraßennetz

Es muss definiert werden, um Tempo-30-Zonen einführen zu können. Das Vorbehaltsnetz ist also die Kehrseite der Tempo-30-Zonen.

Das sagt die StVO:

§ 45
(1c) Die Straßenverkehrsbehörden ordnen ferner innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.
Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken.
Sie darf nur Straßen ohne Lichtzeichen geregelte Kreuzungen oder Einmündungen, Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295), Leitlinien (Zeichen 340) und benutzungspflichtige Radwege (Zeichen 237, 240, 241 oder Zeichen 295 in Verbindung mit Zeichen 237) umfassen.
An Kreuzungen und Einmündungen innerhalb der Zone muss grundsätzlich die Vorfahrtregel nach § 8 Absatz 1 Satz 1 („rechts vor links“) gelten.
Abweichend von Satz 3 bleiben vor dem 1. November 2000 angeordnete Tempo 30-Zonen mit Lichtzeichenanlagen zum Schutz der Fußgänger zulässig.
(1d) In zentralen städtischen Bereichen mit hohem Fußgängeraufkommen und überwiegender Aufenthaltsfunktion (verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche) können auch Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen von weniger als 30 km/h angeordnet werden.

Dazu die Verwaltungsvorschrift VwV-StVO zu § 45:
XI. Tempo 30-Zonen
37 1. Die Anordnung von Tempo 30-Zonen soll auf der Grundlage einer flächenhaften Verkehrsplanung der Gemeinde vorgenommen werden, in deren Rahmen zugleich das innerörtliche Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) festgelegt werden soll. Dabei ist ein leistungsfähiges, auch den Bedürfnissen des öffentlichen Personennahverkehrs und des Wirtschaftsverkehrs entsprechendes Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) sicher zu stellen. Der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (wie Rettungswesen, Katastrophenschutz, Feuerwehr) sowie der Verkehrssicherheit ist vorrangig Rechnung zu tragen.
38 2.
Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen kommen nur dort in Betracht, wo der Durchgangsverkehr von geringer Bedeutung ist. Sie dienen vorrangig dem Schutz der Wohnbevölkerung sowie der Fußgänger und Fahrradfahrer. In Gewerbe- oder Industriegebieten kommen sie daher grundsätzlich nicht in Betracht.

Nirgendwo gibt es in der Straßenverkehrsordnung einen Vorrang für den motorisierten Individualverkehr (MIV) gegenüber dem Fahrradverkehr – der steckt nur in den Köpfen.

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