Nach 18 Jahren hat die Stadt Bochum sich endlich entschlossen, die Gefahrenstelle an der Hans-Böckler-Straße, Richtung Innenstadt, zu beseitigen.
Schon vor dem Umbau der Straße in Folge der Verlegung der Straßenbahnlinie 305/315 in den Tunnel unter der Innenstadt war den Planern bekannt, dass sie hier eine Gefahrenstelle für Radfahrer konstruiert hatten. Es war ihnen egal.
Nach der Eröffnung der Haltestelle Rathaus Nord, konnte jeder zusehen, wie Radfahrer oder auch Scooter-Fahrer beim spitzwinkligen Queren der Straßenbahngleise ins Straucheln gerieten oder auch stürzten. Die Verwaltung sah einfach zu. Im neuen technischen Rathaus hatte sie sogar einen Logenplatz.
Zuletzt gab es dort am 17.02.2024 einen einen Unfall bei dem ein 63-jähriger Pedelec-Fahrer schwer verletzt wurde.
Nach Polizeiangaben war der Bochumer gegen 14.30 Uhr auf der Hans-Böckler-Straße in Richtung Rathaus unterwegs. In Höhe der Hausnummer 18 geriet er nach ersten Ermittlungen mit seinem Pedelec in die Straßenbahnschienen auf der Fahrbahn und kam zu Fall. Er musste mit einem Rettungswagen in eine Klinik gebracht werden.
In den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) aus dem Jahr 2010 gibt es eine klare Handlungsanweisung, um solche Gefahrenstellen zu entschärfen:
Ab einem Winkel von 50 gon [das sind 45°] oder mehr ist die Überquerung von Rillenschienen problemlos möglich. Wo Überquerungen der Gleise obligatorisch sind, … können Überquerungsstelle und Überquerungswinkel durch Markierungen verdeutlicht werden.“
ERA 2010, Seite 30
Auch in der ersten Version der ERA aus dem Jahr 1995 wurde bereits auf die erheblichen Gefahren durch Straßenbahngleise hingewiesen: »Schienen im Straßenraum, die in spitzem Winkel überfahren werden müssen, stellen eine erhebliche Sturzgefahr für Radfahrer dar.« (ERA 95, Seite 130).
Es war also von Anfang an alles bekannt. Gehandelt hat das Tiefbauamt nicht.
Erst 2021 (Vorlage 20211112) und 2022 (Vorlage 20221230) wurde der Bau eines Velogleises mit einer Gummilippe in der Schiene zur sicheren Querung der Straßenbahngleise beschlossen. Mit geschätzten Gesamtkosten von 351.450 € (Vorlage 20230084). In der neuen Vorlage wurde das Projekt Velogleis schon wieder beerdigt und es sollte nun nur noch einen Radweg mit Furt über die Gleise geben:
Die Planung sieht, genau wie die vorherige, den Bau eines baulich getrennten Radweges zwischen der Brückstraße und der heutigen Wendefläche vor. Die Wendefläche wird zurückgebaut, da diese nicht mehr benötigt wird.
Vorlage 20230084
Die bestehende Lichtsignalanlage (LSA) wird um circa 1,50 m versetzt, der Radverkehr wird zukünftig rechts an der LSA vorbeigeführt. Im weiteren Verlauf über die heutige Wendeanlage werden Radfahrende in der Planung baulich gesichert in stumpfem Winkel über die Gleise geführt.
Eine Signalisierung des Radverkehrs ist nicht notwendig, die zu querenden Stelle wird bereits heute von Radfahrenden genutzt. Die Vorfahrt ist eindeutig geregelt. Hinter der Querung sortieren sich Radfahrende in den, inzwischen deutlich reduzierten, Verkehr auf der Hans-Böckler-Straße ein. Der Asphalt wird im Bereich der Querung großflächig rot eingefärbt. Die geplante Furt quert die Gleise in einem Winkel von 65°
Kurz vor der Einrichtung der Baustelle hatte die Radwende Bochum am Freitag, 01.03.2024 noch eine Aktion an der Querungsstelle durchgeführt, um zu zeigen, wie die Gefahrenstelle mit minimalem Aufwand beseitigt werden könnte: Wir haben eine provisorische Furt markiert, die im Winkel von 45° über die Gleise führt.
Die Stadt Bochum wollte lieber für mehr als 100.000 € einen Radweg bauen.
Die Baustelle wurde am 11.03. 2024 eingerichtet und die Hans-Böckler-Straße für Radfahrer gesperrt – selbstverständlich ohne Umleitung. In der Folge konnte man Tag für Tag verfolgen, wie alles immer schlimmer wurde. Heute, am 26.03.2024 ist der Radweg beinahe fertig und es ist grauenhaft.

Der Radweganfang liegt nicht in der Flucht der Fahrbahn, sondern im Winkel dazu. Um auf den Radweg zu gelangen, muss man nach links ausweichen. Das ersetzt die alte Sturzgefahr durch eine neue. Besonders gefährlich für Lastenräder und weniger versierte Radfahrer.
Die ERA 2010 sagen schon seit 15 Jahren klipp und klar: »Der Übergang zwischen Seitenraum und Fahrbahn bzw. umgekehrt ist so auszubilden, dass er mit Fahrrädern stoßfrei in direkter Führung und ohne Verschwenkungen erreicht bzw. verlassen werden kann.« (S. 78). Das Tiefbauamt in Bochum weiß es besser.

Der Radweg hat keine einheitliche Breite. Durch die verwinkelte Führung ergeben sich neue Gefahrenstellen. Eigentlich wäre der Radweg ausreichend breit zum Überholen, aber nicht an diesen Engstellen.
Die Ampel für die Straßenbahn wird rechts umfahren und gilt nicht mehr für Radfahrer.
An dieser Stelle wird der Radweg gefährlich.
Solche spitzen Ecken darf es auf Radwegen nicht geben.
Am Radwegende wird der Sinn der Maßnahme klar:
Mitten im Radkreuz Bochum wird den Radfahrern die Vorfahrt genommen.
Dazu sagt die Verwaltung in ihrer Beschlussvorlage:
Das ist möglich, »da die Hans-Böckler-Straße für den motorisierten Individualverkehr nahezu vollständig gesperrt wurde. Hierdurch wurde das Risiko für mögliche Konflikte zwischen dem Kfz- und dem Radverkehr deutlich reduziert.« (Vorlage 20230084)
Dem Radverkehr wird also die Vorfahrt genommen, weil die Konflikte mit dem Kfz-Verkehr deutlich reduziert wurden.
In Wirklichkeit geht es darum, Bussen und Straßenbahnen jetzt endlich Vorrang gegenüber dem Radverkehr zu geben. Bis jetzt konnten Busfahrer und Straßenbahnen Radfahrer auf der Hans-Böckler-Straße nicht überholen. Jetzt haben sie freie Fahrt und Radfahrer müssen stehen bleiben. »Radkreuz« sei Dank!
Nachtrag vom 12.04.2024:

Hier ist ein korrekter, geradliniger Radweganfang aber auch schon ein Radwegende mit Beschilderung „Vorfahrt achten“ (!) und ohne Furtmarkierung über den Gleisbereich eingezeichnet.
Auch der vorhergehende Planungsentwurf zum Velogleis vom 09.01.2023 (Velogleis_Entwurf, Anlage zur Vorlage 20230084) zeigt schon, dass die Stadt Bochum von Anfang an den Vorsatz hatte, den Radfahrern die Vorfahrt zu nehmen – und das mitten im Radkreuz! Vorgesehen war schon bei diesem Entwurf: »Querung außerhalb der Gleiseinbauten« – aber wozu dann überhaupt ein Velogleis?
Die Verwaltung in der Zeichnung zum Velogleis: »Die Querung der Gleise stellt auch bei abgenutztem oder fehlendem Gummi eine Verbesserung im Vergleich zum Bestand dar.«
Wenn also den Radfahrern beim Geradeausfahren (!) die Vorfahrt genommen wird, ist das laut Verwaltung eine Verbesserung!
Es wird immer schlimmer, je genauer man hinsieht.
Meine Vorwürfe an die Stadt Bochum sind also nur zu berechtigt. Es war keine Dummheit, es war Absicht. Man sollte es hinterhältig nennen.
Dieser Radweg ist ein wirklich schlechter Witz.
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