Grüne Welle für den Autoverkehr von der Hattinger Straße zum Innenring.
Die vielen roten Furtmarkierungen auf der neu gestalteten Kreuzung am Schauspielhaus sind nur Tarnung. Sie sollen maskieren, dass es von Anfang an nur darum ging, den Autoverkehr zu beschleunigen und weiter zu vermehren.
Nicht zufällig hat die Verwaltung bei der Planung ganz »vergessen«, dass auch Radfahrer links abbiegen wollen.
Beim Autoverkehr war das Linksabbiegen dagegen das zentrale Anliegen der Planer.
Wenn man es erst einmal gesehen hat, ist es unübersehbar: Bochum hat auf der Hattinger Straße eine abknickende Vorfahrt in Richtung Innenring installiert – natürlich ohne Beschilderung, sonst würde es ja sofort auffallen.
Der Abschnitt zwischen Schauspielhaus und dem sogenannten Radkreuz über Königsallee und Viktoriastraße ist das Paradebeispiel für die groteske Diskriminierung von Rad- und Fußverkehr in Bochum. Wahrscheinlich kann man hier auf einem Kilometer Straße 100 Mängel finden. Wenn man diesen Straßenabschnitt städtebaulich betrachtet, wie es die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) seit 2006 verbindlich vorschreiben, dann müsste hier maximal Tempo 30 gelten und Fußgänger und Radfahrer müssten gleichberechtigt mit dem Autoverkehr behandelt werden. Davon kann man in Bochum nur träumen. Hier gilt immer noch der unbedingte Vorrang des motorisierten Individualverkehrs (MIV), sprich: »Mief«.
Das sogenannte »Radkreuz« und die Posse um die sogenannte Veloroute #1, die gar keine Veloroute sein kann, zeigen das nur allzu deutlich. Auch das Radverkehrskonzept dient letztlich nur dazu, die Privilegien des Autoverkehrs zu verteidigen.
Genau darum ging es auch bei der Schauspielhauskreuzung.
Die Privilegien des Autoverkehrs
Die Geschichte beginnt schon mit dem Pilotprojekt von 1988 und der Gründung des ADFC Bochum 1989.
Es geht um die Radialstraßen. Nicht zufällig gibt es bis heute in Bochum keine einzige Radialstraße, die durchgehende und – gemessen an der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) – qualitativ ausreichende Radwege hätte.
Die Herner Straße ist die einzige Hauptverkehrsstraße mit durchgehenden Radwegen und diese Radwege sind mangelhaft bis ungenügend.
Praktisch vom ersten Tag an hat sich der ADFC Bochum mit der Königsallee auseinandergesetzt und bereits 1993 einen Entwurf vorgelegt, wie die Königsallee Radwege bekommen könnte.
Immerhin befinden sich direkt an der Königsallee mehrere weiterführende Schulen und früher war die Königsallee der erste und einzige Boulevard in Bochum. Da sollte man Rad fahren können.
Selbstverständlich hat die Stadt Bochum alle Initiativen des ADFC Bochum dazu ignoriert.
Mit der Gründung des »Beirats Mobilität« bekam das Dauerthema Königsallee neue Aktualität. Die Verwaltung hat in der dritten Sitzung eine aufwendige ämterübergreifende Präsentation veranstaltet, die zeigen sollte, wie man auf der Königallee den Radverkehr auf dem Mittelstreifen führen könnte. Die Idee war so absurd, dass die Präsentation schon im Ansatz durchgefallen ist: Es gab und gibt auf der Königsallee schon lange keinen durchgehenden Mittelstreifen mehr. Der war schon längst dem Moloch Autoverkehr zum Opfer gefallen.
Der ADFC Bochum hat auf diesen Reinfall der Verwaltung unmittelbar mit einem eigenen Positionspapier reagiert, das die verschiedenen Lösungsansätze für sicheren Radverkehr auf der Königsallee diskutiert und zeigt, dass es – außer dem autozentrierten Komplettumbau – nur eine Lösung gibt:
Variante 4: Radfahrstreifen in Regelbreite
Positionspapier des ADFC Bochum für sicheren Radverkehr auf der Königsallee (2013)
Ein Radfahrstreifen in Regelbreite ermöglicht bereits Überholvorgänge von Radfahrern untereinander. Bei einer Fahrbahnbreite von 6,60 m verbliebe neben einem Radfahrstreifen in Regelbreite (1,85 m) ein Fahr-streifen von 4,75 m Breite. Für ein Nebeneinanderfahren von PKW fordert die RASt 06 mindestens 5,00 m (RASt 06, S. 71). Eine Breite von 4,75 m ist aber vertretbar, insbesondere wenn die Geschwindigkeiten des Kfz-Verkehrs reduziert werden (40 km/h).
Die Verwaltung hat dieses Papier selbstverständlich ignoriert. Die Politik wollte sich gar nicht erst mit lästigen Themen befassen und hat den Beirat Mobilität deshalb absichtsvoll unter Ausschluss der Politik konzipiert.
Gutachten: Falsche Frage – »richtige« Antwort
Aber die Verwaltung hat ein bemerkenswertes Gutachten in Auftrag gegeben, um zu beweisen, dass die vom ADFC Bochum vorgeschlagene Lösung nicht möglich ist. Dieses Gutachten ist ein Paradebeispiel dafür, wie man die gewünschte Antwort (»unmöglich«) erhält, wenn man gezielt die falsche Frage stellt. Falsche Fragen produzieren falsche Antworten, genauer gesagt, richtige Antworten auf die falsche Frage.
Die Verwaltung hat gefragt: »Was passiert, wenn man auf der Königallee einen der beiden Fahrstreifen in einen Radweg umwandelt?«.
Die Antwort war: »Die Leistungsfähigkeit an den Kreuzungen ist ungenügend. Es gibt lange (Auto-)Staus.«
Richtig wäre gewesen, die Frage zu stellen, die der ADFC Bochum in seinem Papier beantwortet hatte: »Wie kann man die Königallee mit möglichst geringem Aufwand so gestalten, dass sicheres Radfahren möglich ist?«
Die Antwort war schon 2013 im Prinzip dieselbe, die die Stadt Bochum jetzt auf der Wittener Straße im Bereich Mark 51°7 nach langem Hinhalten akzeptieren musste.
Die bisherigen Zwei-Richtungsfahrbahnen werden auf eine überbreite Fahrspur von 5,50 m pro Richtung reduziert.
https://wittener.stadtteil-laer.de/planungsbereiche/#wittener
Prägend für das Erscheinungsbild der Straße werden zukünftig beidseitige Baumreihen sein. Auf jeder Straßenseite wird es Fuß- und Radwege geben. Diese sind in einem sog. „Multifunktionsband“ angeordnet, das auch die Bäume, die Regenwasserrückhaltung und Baumbewässerung sowie naturnahe Pflanzungen beinhaltet. Aufenthaltsbereiche unterbrechen das Baumband, sie schaffen Platz für Begegnung und verbinden in regelmäßigen Abständen Geh- und Radwege.
Die Geschwindigkeit entscheidet
Der entscheidende Punkt ist wie immer die Geschwindigkeit: Wer langsamer fährt, braucht viel weniger Platz. Wer Rad fährt noch weniger.
Immerhin hat der Gutachter im Auftrag der Verwaltung eingehend untersucht, wie viele Fahrstreifen an den Kreuzungen der Königsallee notwendig sind, um die Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr zu gewährleisten – die Leistungsfähigkeit für Fußgänger und Radfahrer spielte natürlich keine Rolle.
Die größte Kreuzung der Königsallee ist die Kreuzung am Schauspielhaus. Es ist die einzige Kreuzung, an der zwei Radialstraßen aufeinandertreffen. Alle anderen münden direkt in den Innenring. Das hat historische Gründe. Es gab seit dem Anschluss Bochums an das Eisenbahnnetz an dieser Stelle ein Nadelöhr: die »Mausefalle«. Gelöst wurde das Problem erst nach dem 2. Weltkrieg als ein direkter Anschluss der Hattinger Straße an die Oskar-Hoffmann-Straße hergestellt wurde und durch die Verlegung des Bochumer Hauptbahnhofs Richtung Wittener Straße das Nadelöhr Bahnunterführung beseitigt werden konnte.
Der Gutachter hat festgestellt, dass die Kreuzung am Schauspielhaus bereits ausreichend dimensioniert war. Ein Linksabbiegestreifen reicht aus. Schließlich kann der Verkehr aus der Hattinger Straße in zwei Richtungen weitergeführt werden: Über die Oskar-Hoffmann-Straße und die Königsallee / Viktoriastraße. Auf beiden Wegen ist der Innenring erreichbar. Ich hatte schon im Vorfeld der Planung darauf aufmerksam gemacht.
Die Skizze zeigt auch, wie Radverkehr nach den ERA im Kreuzungsbereich geführt werden soll:
»Sind Rechtsabbiegestreifen in der Knotenpunktzufahrt vorhanden, werden die Radfahrstreifen für den geradeaus fahrenden Radverkehr links davon angelegt.« (ERA S. 49).
Die Verwaltung verfolgte an der Kreuzung am Schauspielhaus – in verschwiegener Abstimmung mit der Politik? – trotzdem einen anderen Plan: Mehr Fahrstreifen für den Autoverkehr, Alibiradwege für den Fahrradverkehr – wenn überhaupt.
De Facto hat die Verwaltung hier eine abknickende Vorfahrt für den Kfz-Verkehr aus der Hattinger Straße in Richtung Innenring installiert. Das kann man nicht an der Beschilderung ablesen, wohl aber an der Ampelschaltung. Der Geradeaus-Verkehr auf der Königsallee hat jetzt immer ein Rotsignal an der folgenden Fußgängerampel in Höhe der Alten Hattinger Straße. Das war früher natürlich nicht so.
Dafür haben Autofahrer, die aus der Hattinger Straße kommen, jetzt dort zuverlässig Grün und können Richtung Innenring durchfahren. Nur so macht der neue, zweite Linksabbiegestreifen Sinn.
Vorfahrt für den Autoverkehr, nichts für den Radverkehr.
Für Radfahrer von der Hattinger Straße Richtung Radkreuz gibt es weder direktes noch indirektes Linksabbiegen. Es bleibt nur der Weg per Fußgängerfurt über die Königsallee in die Fußgängerzone und anschließend weiter über den Gehweg an der Königsallee.
Ohne den zusätzlichen Kfz-Fahrstreifen wäre auf der Hattinger Straße genug Platz für Fußgänger und Radfahrer geblieben. Direktes Linksabbiegen aus der Hattinger Straße wäre weiterhin und sogar einfacher möglich gewesen. Jetzt funktioniert nicht einmal indirektes Linksabbiegen (Fußgängerzonen und Gehwege sind nicht Teil der Radverkehrsinfrastruktur). Man kann jeden Quadratmeter eben nur einmal verplanen.
Zusätzlich praktiziert das Tiefbauamt an der Königsallee die Wiederentdeckung des 1-Meter-Radwegs aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Grund: Der Radweg ist regelwidrig rechts neben dem Fahrstreifen für Rechtsabbieger angelegt. An der Ampel muss er geteilt werden, da geradeaus und rechts getrennte Signale haben. Das sorgt für einen Konflikt der geradeaus fahrenden Radfahrer mit den rechts abbiegenden Kfz, die ein eigenes Signal haben. Autofahrer sind damit überfordert. Es brauchte ein Zusatzschild, das auf das Lichtsignal hinweist! Ein sehr deutlicher Hinweis auf eine Fehlplanung. Dazu kommt: Die Grünphase für geradeaus fahrenden Radfahrer auf der Königsallee Richtung Süden ist gerade einmal 10 Sekunden lang, die der Autofahrer zweieinhalb mal so lang.
Die ERA sagen dazu: »Die Grundstruktur der Signalisierung soll die Akzeptanz durch die Radfahrer fördern, deshalb sollen Freigabezeiten für den Radverkehr nicht erheblich kürzer sein als die für den parallel geführten Kraftfahrzeugverkehr.« (S. 27)
Zur Belohnung führt die anschließende schöne, neue, breite und rot eingefärbte Fahrradfurt ins Nichts.
Wo soll es weitergehen? Soll der Gehweg vor Apotheke und Sparkasse etwa breit genug sein für Bushaltestelle, Radverkehr in zwei Richtungen und Fußgängerverkehr?
Hauptsache, die Fahrbahn bleibt frei von Fahrrädern.
Der ADFC Bochum hat schon vor dreißig Jahren eine machbare Lösung vorgeschlagen.
»Machen geht immer! Lücken schließen – Netze bilden« war das Thema der AGFS NRW Fachtagung 2024. »Unkonventionelle und schnelle Lösungen für das Radverkehrsnetz planen und realisieren« war die gestellte Aufgabe.
Peter Gwiasda vom Planungsbüro VIA eG, Köln und als Leiter des Arbeitskreises „Radverkehr“ verantwortlich für die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA), hat dort eine bemerkenswerte Präsentation mit Ausblick auf die neuen ERA gezeigt:
Schnelle Maßnahmen und die Regelwerke – Ein Widerspruch?
Sein Motto: »Keine Angst vor der zweitbesten Lösung. Planen im Bestand ist möglich und notwendig.«