Eine Grundregel der »Empfehlungen für Radverkehrsanlagen« (ERA), Ausgabe 2010 lautet:
Wegen ihrer Konfliktträchtigkeit ist folgende Situation bzw. Entwurfselement zu vermeiden: Durchgehende Fahrstreifen, die unmittelbar in Rechtsabbiegestreifen übergehen und den Radverkehr zum ungesicherten Wechsel auf den links angrenzenden Fahrstreifen zwingen.
ERA, S. 37
Das war – daraus abgeleitet – auch eine wichtige Forderung des Radentscheid Bochum.
Grundsätzlich verlangen die ERA – gerade auch für den Radverkehr:
Knotenpunkte müssen aus allen Knotenpunktzufahrten rechtzeitig erkennbar, begreifbar, übersichtlich sowie gut und sicher befahrbar bzw. begehbar sein.
ERA, S. 37
Die Knotenpunkte sollen zügig und sicher befahrbar sein (Vermeidung enger Radien, hoher Borde, abrupter Verschwenkungen).
Dazu gehört auch das Verbot, Radverkehrsanlagen im engeren Knotenpunktbereich enden zu lassen.
Denn »gerade in Kreuzungsbereichen entsteht ein hohes Konfliktpotenzial zwischen Verkehrsteilnehmenden und somit ein großes Unfallrisiko.« (Radverkehrskonzept Bochum, 2023)
In der Autostadt Bochum gibt es eine Vielzahl an Kreuzungen, die gegen diese elementaren Grundregeln verstoßen. Die Stadt Bochum hat nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.
Wenn man eine Top-10-Liste der – aus der Sicht des Radverkehrs – übelsten Kreuzungen in Bochum aufstellen will, muss man nur nach Kreuzungen an Hauptverkehrsstraßen suchen, wo der rechte Fahrstreifen »unmittelbar in einen Rechtsabbiegestreifen übergeht«. Meistens sind das Straßen mit zwei Fahrstreifen pro Richtung. Besonders auffällig ist an diesen Kreuzungen, dass man dort nur selten oder nie Menschen sieht, die mit dem Rad unterwegs sind. Sie trauen sich einfach nicht. Demzufolge gelten diese Kreuzungen für Polizei, Tiefbauamt und Straßenverkehrsbehörde auch nicht als Unfallhäufungspunkte: Wo niemand ist, kann auch niemand verunglücken, also sind diese Kreuzungen für Radfahrer »verkehrssicher« und es besteht kein Handlungsbedarf.
Eine zynische Logik, die absichtsvoll außer Acht lässt, dass Straßen dem Gemeingebrauch dienen.
Die Leitfrage ist nicht »wo derzeit viele Fahrradfahrer fahren, sondern von wo nach wo sie fahren würden, wenn alle Straßen und Wege für den Radverkehr gleichermaßen geeignet wären.«
Pilotprojekt Radwege- und Beschilderungsplan Bochum, ILS, 1988, S. 10
Man nennt das Angebotsplanung. Das Pilotprojekt hat also schon vor 36 Jahren die richtigen Fragen gestellt und die Autostadt Bochum hat es konsequent ignoriert. Deshalb gibt es in Bochum Straßen, die – Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts gebaut – bis heute völlig rücksichtslos gegenüber dem Radverkehr sind.
Schicksalsjahr 1962: Opel und die RUB – Außenring und Universitätsstraße.
Wir haben 75 Jahre lang Politik für das Auto gemacht, nun müssen wir das Radfahren zumindest gleichstellen. Wir brauchen Mut zum Umdenken der Städte. Wir erwarten von der Politik, dass sie Radfahren leichter macht.
Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), im Juni 2023
Vergleiche dazu auch die Leitlinien Fahrradinfrastruktur des ADFC von 2016.
Radfahrerhorror: Einfach nur geradeaus
Die zehn schlimmsten Kreuzungen in Bochum
- Universitätsstraße / A43 (Fahrtrichtung Langendreer)
- Universitätsstraße / A43 (Fahrtrichtung RUB)
- Castroper Hellweg / Harpener Hellweg / Sheffieldring
- Zeppelindamm / Wattenscheider Hellweg / Berliner Straße
- Lyrenstraße / Ückendorfer Straße
- Castroper Hellweg / Josef-Baumann-Straße
- Herner Straße / A40 Richtung Herne
- Viktoriastraße / Südring Richtung Radkreuz
- Hauptstr Bahnbrücke Richtung Langendreer
- Wittener Straße / Werner Hellweg, Richtung Altenbochum
1 Universitätsstraße, Richtung Langendreer
An der Ausfahrt RUB West gibt es keinen Radweg geradeaus. Wer mit dem Rad einfach geradeaus fahren will, bekommt Probleme. Und es wird immer schlimmer, dank »schleifender« Ein- und Ausfahrten.
RUB Mitte: Sechs Fahrstreifen für den motorisierten Verkehr, null für den Radverkehr. Rechts überholen die Pkw mit vollem Tempo.
RUB Ost: keinerlei Radverkehrsführung. Die Einfahrt wird übergangslos zum dritten Fahrstreifen. Radfahrer müssen nach rechts wechseln.
Kreuzung A43: keinerlei Radverkehrsführung. Der rechte Fahrstreifen wird übergangslos zum Rechtsabbiegestreifen zur A43.
Radfahrer müssen völlig ungeschützt in die Mitte wechseln. Der MIV hat drei Fahrstreifen zur Wahl, Radfahrer haben keine Wahl.
Ergebnis: Man sieht hier niemanden Rad fahren. Wer es einmal versucht, tut es nie wieder.
2 Universitätsstraße, Richtung RUB
Kreuzung A43: Von rechts kommen die Autofahrer von der Autobahn. Direkt und übergangslos in den neuen dritten Fahrstreifen. Direkt dahinter ist die Ausfahrt zum Hustadtring.
Radfahrer müssen ungesichert nach rechts in den schnellen Autobahnverkehr wechseln und haben kaum Zeit, die Ausfahrt zum Hustadtring zu erreichen.
Ergebnis: Man sieht hier niemanden Rad fahren. Wer es einmal versucht, tut es nie wieder.
3 Castroper Hellweg / Harpener Hellweg / Sheffieldring
Die meistbefahrene Kreuzung in Bochum – nur für Autofahrer.
Von der A40 kommen – unsignalisiert! – zwei Fahrstreifen. Der rechte führt Richtung Castroper Straße, der linke geradeaus.
Radfahrer müssen mitten in diesem Kreuzungsbereich nach rechts wechseln, um die Castroper Straße zu erreichen. Geradeaus dürfen sie nicht: Der Sheffieldring ist Kraftfahrstraße.
Geradeaus auf dem Harpener Hellweg: Der neue Radweg führt ins Nichts. Rechts auf den Gehweg! Geradeaus auf einen verkehrsgefährdenden 20-Meter-Pseudo-Radweg, aber nur mit Bettelampel.
Harpener Hellweg in Gegenrichtung: Mit »benutzungspflichtigem« Pseudo-Radweg. Links Abbiegen Richtung Castroper Hellweg geht gar nicht, geradeaus ist lebensgefährlich.
Ergebnis: Man sieht hier fast niemanden Rad fahren. Wer es einmal versucht, will es nie wieder.
4 Zeppelindamm / Wattenscheider Hellweg / Berliner Straße
Der Zeppelindamm hat vor der Kreuzung nur einen Fahrstreifen pro Richtung und einen Mehrzweckstreifen, der kurz vor der Kreuzung endet, aber sowieso als Lkw-Parkplatz genutzt wird.
Schon der dadurch erzwungene Wechsel in den fließenden Verkehr ist gefährlich.
Geradeaus geht es zur Berliner Straße.
Aus einem Fahrstreifen werden vier. Links abbiegen geht gar nicht.
Die Berliner Straße hat einen Radweg, der war vorher auch ein Mehrzweckstreifen zum Lkw-Parken.
Der Radweg hat keinen Anfang. Er ist geradeaus gar nicht erreichbar. Ein Kunststück.
In Gegenrichtung – von der Berliner Straße zum Zeppelindamm ist auch nichts besser.
Der Radweg endet vor der Kreuzung.
Hinter der Kreuzung ist der Mehrzweckstreifen ein Lkw-Parkplatz.
Vier Fahrstreifen für den Autoverkehr. Links Abbiegen ist lebensgefährlich.
5 Lyrenstraße / Ückendorfer Straße, Richtung Gelsenkirchen
Der rechte Fahrstreifen wird im Kurvenbereich unversehens zum Rechtsabbiegestreifen. Der erzwungene Wechsel nach rechts ist vorher nicht erkennbar. Eine Falle.
6 Castroper Hellweg / Josef-Baumann-Straße, Richtung Castrop
Auch hier wird der rechte Fahrstreifen unversehens zum Rechtsabbiegestreifen. Geradeaus gibt es nur einen Fahrstreifen.
Der besondere Clou: Mitten im Kreuzungsbereich beginnt rechts ein benutzungspflichtiger Radweg – der von der Fahrbahn aus gar nicht erreichbar ist.
Das muss man erst mal schaffen!
7 Herner Straße / A40, Richtung Herne
Vor der A40 gibt es einen Fahrstreifen Richtung Herne und einen Radfahrstreifen.
An der Autobahnausfahrt verschwenkt der Radweg nach rechts und gleichzeitig kommt von dort der Autoverkehr, der direkt und übergangslos auf einen neuen. zusätzlichen
Fahrstreifen geführt wird.
Kein Wunder: Ein Unfallhäufungspunkt.
Der Radfahrstreifen liegt weit hinter dem Fußgängerüberweg. Es gibt keine Haltelinie, keine Wartelinie, keinen Hinweis auf den bevorrechtigten Radweg. Das Zeichen »Vorfahrt achten« beziehen die Autofahrer auf den Autoverkehr. Ortskundige ziehen durch. Eine Falle.
8 Viktoriastraße / Südring Richtung Radkreuz
Auf der Königsallee / Viktoriastraße gibt es ab der Wasserstraße keinen Meter benutzungspflichtigen Radweg. Dafür aber zwischen Schauspielhaus und Südring mehrere Hinweisschilder: »Radfahrende dürfen auch die Fahrbahn nutzen«.
Tatsächlich ist Fahren auf der Fahrbahn die einzige Möglichkeit, Richtung Radkreuz »einfach nur geradeaus« zu fahren.
Die Alternative führt über Gehwege, Radwege, Radfahrstreifen in buntem Wechsel mit zahlreichen Verschwenkungen und Konfliktsituationen. Im Kreuzungsbereich hat die Richtungsfahrbahn vier Fahrstreifen, nur der zweite von rechts führt geradeaus.
Die Rottstraße kann man nur von dem ganz links gelegenen Fahrstreifen aus erreichen.
Hauptstraße, Bahnbrücke, Richtung Langendreer
An der Hauptstraße wurde ein neuer Kreisverkehr gebaut. Hinter dem Kreisverkehr erweitert sich die Fahrbahn auf zwei Fahrstreifen und es beginnt ein benutzungspflichtiger, gemeinsamer Geh- und Radweg – trotz Tempo 30 und ohne jede Verbindung zur Fahrbahn!
Der Radweg hat keinen Anfang und erst recht kein Radwegende. Es ist absolut undurchschaubar, wie Radfahrende zurück auf die Fahrbahn gelangen sollen.
Und der rechte Fahrstreifen ist unversehens zum Rechtsabbiegestreifen geworden.
Im Bereich der Bahnunterführung gibt es keine Radwege. Eine Falle.
10 Wittener Straße / Werner Hellweg, Richtung Altenbochum
Hier wurde »repariert«. Die ehemals »schleifende« Rechtsabbiegespur, die direkt in die Abbiegespur zum Sheffieldring überging, wurde durch eine Sperrfläche unterbrochen. Radfahrende haben jetzt eine Chance, halbwegs sicher abzubiegen und dürfen jetzt bis zum Sheffieldring auf dem mittleren Fahrstreifen Richtung Altenbochum fahren – dabei werden sie links und rechts von Autofahrern überholt.
Radwege gibt es nicht.
Die Top-10-Liste ist nach bestem Wissen ausgewählt. Wer noch »bessere« Kreuzungen in Bochum kennt: Vorschläge nehme ich gerne entgegen: kkuliga(at)bovelo.de
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for allowing for me to comment!