Im Bochumer Radverkehrskonzept von 2023 tauchen »Velorouten« als ganz neues Element eines Radverkehrsnetzes in Bochum auf. (siehe Veloroute #1: Pilotprojekt oder Wahlkampf?)
Tatsächlich sind Velorouten schon seit etwa fünfzig Jahren bekannt und – wie der Name schon vermuten lässt – keine deutsche Erfindung: »Wer hat’s erfunden?« Nicht nur Kräuterbonbons stammen aus der Schweiz. Die Deutschen sagen »Fahrrad«, die Niederländer »Fiets« und die Franzosen und Schweizer eben »Velo«.
Das Konzept »Velorouten« wurde dort in Modellprojekten in Basel und Bern ausprobiert. Aber auch in den Niederlanden, Dänemark, Schweden, England gab es entsprechende Projekte. Siehe BASt 1989.
Der Stadtstaat Hamburg arbeitet seit 25 Jahren an einem Velorouten-Netz. Allerdings hapert es an der Umsetzung. Das Ergebnis ist »ein Flickenteppich« und 2023 musste Hamburg sogar bei der Umsetzung pausieren: Kostenexplosion.
»Viele Straßenumbauten in Hamburg erneut teurer als geplant. Der Bau einer zwei Kilometer langen Veloroute auf der Elbgaustraße ab dem Rugenbarg verschlingt 24 Millionen Euro. « (NDR, 02.08.2023)
»Kosten explodieren: Vorläufiges Aus für die Veloroute 8« (Bergedorfer Zeitung, 29.09.2023)
2024 soll allerdings weitergebaut werden (https://www.hamburg.de/bergedorf/aktuelle-baustellenmeldungen/18244778/umbau-ludwig-rosenberg-ring/).
»Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet die Stadt Hamburg an einem Velorouten-Netz: Zwölf gut ausgebaute und ausgeschilderte Pisten, die sternenförmig vom Rathausmarkt in die Vororte führen, dazu noch zwei Ringrouten als Querverbindung. Auf diesen Fahrrad-Hauptverkehrsstrecken sollen vor allem die Menschen schnell und sicher vorankommen, die das Rad alltäglich und für die Fahrt zur Arbeit nutzen. 280 Kilometer ist das Netz insgesamt lang. Ein wichtiger Baustein für die Mobilitätswende in Hamburg.
Soweit die Theorie. In der Praxis ist das Netz aber ein bis heute kaum erkennbarer bunter Flickenteppich: Hier und da gibt es ein paar erkennbar ausgebaute Abschnitte, auf denen es sich gut radeln lässt, dazwischen folgen aber immer wieder uralte Holperpisten oder manchmal sogar gar keine Radwege. Manche Fahrt endet so unvermittelt im Nirgendwo.
Und als zusammenhängendes Netz erkennbar sind die Velorouten in Hamburg eher für Insider, denn die winzig kleinen und nicht unbedingt selbsterklärenden Hinweisschilder am Straßenrand sind unscheinbar und nach 20 Jahren oft verdreckt.
Eigentlich wollte der rot-grüne Senat das Velorouten-Netz bis zum Jahr 2020 komplett fertiggestellt haben – so stand es im rot-grünen Koalitionsvertrag von 2015. Doch davon ist die Hansestadt derzeit noch meilenweit entfernt. Bis Ende vergangenen Jahres waren gerade einmal 71 Prozent der Velorouten fertig ausgebaut – ein Jahr zuvor lag der Wert mit 70 Prozent fast auf dem gleichen Level. Schaut man sich die absoluten Zahlen an, fällt auf, dass das Velorouten-Netz im vergangenen Jahr offenbar sogar geschrumpft ist.«
(https://www.nahverkehrhamburg.de/hamburger-velorouten-netz-wird-kleiner-aus-diesem-grund-197484/)
Hamburg hat sein Konzept geändert: Zukünftig sollen Radrouten und Radschnellwege die Velorouten ablösen.
Interessant ist, dass Hamburg beim Weiterbau der Veloroute 8 weder auf einen normalen Radfahrstreifen, noch auf eine »Protected Bike Lane« setzt, sondern auf einen »Kopenhagener Radweg«:
In diesem Bereich wird ein Kopenhagener Radweg angelegt. Die Kopenhagener Lösung bezeichnet Radwege, die durch einen Randstein sowohl vom Fußweg als auch von der KFZ-Spur abgetrennt sind. Im Vergleich zu anderen Varianten sind diese Randsteine etwa halb so hoch. Der Radweg sitzt von der Höhe also „mittig“.
https://www.hamburg.de/bergedorf/aktuelle-baustellenmeldungen/18244778/umbau-ludwig-rosenberg-ring/
Schon 1989 waren aus zahlreichen Projekten in der Schweiz, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und England die beiden Hauptprobleme von Velorouten bekannt:
1. Flickenteppiche
2. Umwege (zeitlich und räumlich)
»Asphalt, Pflastersteine, Kopfsteinpflaster, Schotterwege, Erdboden – die Oberflächen-Vielfalt der Radwege auf meinem Arbeitsweg quer durch Hamburg ist erstaunlich vielseitig und ständig wechselnd. Dazu kommen Kanten und Huckel, die es zu meistern gilt. Denn nicht selten sind die Übergänge auch mit leichten Richtungsänderungen oder sogar Kurven verbunden. Eins ist klar: Im Stadtverkehr sind Off-Road-Qualitäten gefragt!«
https://blog.campact.de/2022/12/gefaehrlicher-flickenteppich/
Fazit der Veloroutenprojekte in der Schweiz (Zürich, 1981):
»Die große Umwegempfindlichkeit der Radfahrer als Grund für eine in Teilbereichen geringe Akzeptanz von Velorouten wurde auch in einer Berner Untersuchung festgestellt.«
»Viele nehmen lieber ein Sicherheitsrisiko bei der Benutzung von Hauptverkehrsstraßen in Kauf als umwegige Nebenstraßen zu befahren.«
Die Velorouten hatten keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen mit der Folge, »dass sich Radverkehrsunfälle nach wie vor auf den verkehrsreichen Straßen konzentrieren. …
Zu sehr auf verkehrsarme Straßen konzentrierte Konzepte haben sich demnach als auf die Dauer nicht praktikabel erwiesen.« Hauptverkehrsstraßen brauchen Radfahrstreifen. Entscheidend für die Verkehrssicherheit sind fahrradfreundlich gestaltete Knotenpunkte (Kreuzungen, Querungen, Einmündugen).
Velorouten sind gar nicht in der Lage, alle Quellen und Ziele des Radverkehrs zu erschließen. Das Fahrrad ist ein »Flächenverkehrsmittel«. (BASt S. 421)
Aber auch:
Am Beispiel zahlreicher schweizerischer Städte zeigt sich, dass eine gezielte Förderung des Radverkehrs bei entsprechendem politischem Willen auch in relativ kurzer Zeit spürbare Erfolge bringen kann.
(BASt S. 425)
»Aus der Veloroutenkonzeption ist allerdings auch die Lehre zu ziehen, dass selbst bei einem vergleichsweise attraktiven Angebot von Radverkehrsverbindungen über Nebenstraßen die Hauptverkehrsstraßen nach wie vor große Bedeutung für den Radverkehr besitzen und deshalb hier Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für Radfahrer besonders wichtig bleiben.«
BASt S. 425
Zu demselben Ergebnis kamen auch Modellprojekte mit »Fietsrouten« in Tilburg, Den Haag und Delft. (Niederlande). (BASt S. 375, 466)
Bochum hat die Messlatte für Velorouten in seinem Radverkehrskonzept von 2023 außerordentlich hoch gehängt. Velorouten sind dort praktisch innerstädtische Radschnellwege. Die Reisegeschwindigkeit auf Velorouten soll mit der von Radschnellwegen identisch sein. Umsetzbar ist das kaum, wie die Auseinandersetzungen um die geplante Veloroute #1 sehr deutlich zeigen.
Velorouten waren ursprünglich dazu gedacht, schnell und »mit möglichst geringem Aufwand« in engen Straßenräumen eine deutliche Verbesserung für den Radverkehr zu erreichen. Notgedrungen musste man dazu in das Nebenstraßennetz »weitgehend abseits der Hauptverkehrsstraßen« ausweichen.
Vorreiter waren Bern, Basel und Zürich. In Zürich plante man 1978 ein Veloroutennetz von 130 km Länge, mit Tempo-30 »bei dem auf zwei Drittel der Streckenlänge keine baulichen Veränderungen notwendig waren.« (BASt 421)
Genau diese Aufgabe hatte auch das »Pilotprojekt Radwege- und Beschilderungsplan Bochum« (1985-1988).
Für die Veloroute #1 reaktiviert Bochum jetzt eine dieser Behelfsrouten aus dem Pilotprojekt – und scheitert an den eigenen Vorgaben.
So beißt sich die Katze in den Schwanz. Man hätte es schon 1989 wissen können. Vor 35 Jahren.
Literatur: (BASt 1989) Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr Heft 74, Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs. Hg.: D. Alrutz, H.W. Fechtel, J. Krause. 616 Seiten, 1989.