Vorfahrt fürs Fahrrad!

Unfallstelle Rheinischer Esel / Dürener Straße

Unfallstelle Rheinischer Esel / Dürener Straße. Die Seniorin kam von rechts

6. April 2024: Nach bisherigen Erkenntnissen befuhr ein 48-jähriger Mann aus Dortmund gegen 16.25 Uhr mit seinem Fahrrad den Rheinischen Esel in Richtung Oberstraße. Zur gleichen Zeit bog eine 87-jährige Frau aus Dortmund mit ihrem Pedelec aus östlicher Richtung kommend von der Dürener Straße auf den Rheinischen Esel in Fahrtrichtung Witten ein. Aus bisher ungeklärten Gründen kam es hierbei zum Zusammenstoß.

https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11530/5751268 [Straßenname korrigiert]

Dürener Straße / Rheinischer Esel
Unfallstelle Kreuzung Dürener Straße / Rheinischer Esel aus der Perspektive der Seniorin

Die Seniorin, die keinen Fahrradhelm trug, wurde schwer verletzt mittels Rettungswagen in ein Krankenhaus transportiert. Sie hatte Kopfverletzungen erlitten und erlag am 19. April im Krankenhaus ihren Verletzungen.

Auf vielen Bahntrassenwegen – die ja alle gemeinsame Geh- und Radwege sind – gibt es keine Vorfahrtregelung durch Verkehrszeichen.

Falls die Vorfahrt nicht durch Zeichen geregelt ist, gilt für alle rechts vor links.

Natürlich nur für Fahrzeuge, nicht für Fußgänger, die können Vortritt oder Vorrang haben, aber eben nicht Vorfahrt. Rechts vor links gilt auch für Radfahrer untereinander, Fahrräder waren schon Fahrzeuge, als es noch gar keine Autos gab. Das moderne Sicherheitsniederrad mit Kettenantrieb kam um 1880 auf den Markt.

Auf Bahntrassenwegen kann die Grundregel rechts vor links zu gefährlichen Situationen führen, wenn von rechts ein unscheinbarer, schmaler, schlecht einzusehender Weg in eine breite Trasse einmündet.

Die klassische Formel von der »Einheit von Bau und Betrieb« bei der Straßen- und Wegegestaltung, soll intuitiv zu einem richtigen Verkehrsverhalten führen.  Das Ziel ist eine »selbst erklärende« und »Fehler verzeihende« Verkehrsinfrastruktur. Ein wichtiger Schritt in Hinblick auf die »Vision Zero«.

Die Informationen aus dem Straßenumfeld und der Straßengestaltung selbst sowie die verkehrsrechtlichen Verhaltensvorschriften dürfen sich nicht widersprechen, sondern müssen inhaltlich im Einklang stehen: Daraus ist das Prinzip der Einheit von Bau und Betrieb formuliert worden.
Probleme bei der Interpretation durch Verkehrsteilnehmer sind zu erwarten, wenn die Verkehrsregelung im Widerspruch zum optischen Eindruck steht.

Merkblatt für die Durchführung von Verkehrsschauen, FGSV 2013, S. 7

Genau das ist auf Bahntrassenwegen sehr oft das Problem: Die Verkehrsregelung steht im Widerspruch zum optischen Eindruck.

Der tödliche Unfall auf dem Rheinischen Esel wurde dadurch zumindest mit verursacht.

Dasselbe Problem stellt sich an der Kreuzung Springorum-Trasse / Glockengarten.

Springorum-Trasse / Glockengarten
Die Straße Glockengarten quert die Springorum-Trasse.

Die Stadt Bochum vertritt die Auffassung, an dieser Stelle sei eine Vorfahrtregelung durch Verkehrszeichen nicht zulässig.

Roland Huhn, der Rechtsreferent des ADFC, hat dazu auf Anfrage mitgeteilt:

Selbstverständlich kann die Vorfahrt auch auf Radwegen durch Verkehrszeichen abweichend von der Grundregel geregelt werden. Dafür stehen die üblichen positiven und negativen Vorfahrtzeichen zur Verfügung. Es dürfte bekannt sein, dass Radwegen an Einmündungen die Vorfahrt durch ein (verkleinertes) Zeichen 205 genommen werden kann. Schon das zeigt, dass es eine Regel »keine Vorfahrtsbeschilderung auf Radwegen« nicht geben kann.

Zu den »öffentlichen Straßen« zählen auch Wirtschaftswege und Radwege. Ich sehe keinen Anlass, eine positive oder negative Vorfahrtsregelung für Kreuzung von Radwegen mit Straßen oder untereinander auszuschließen.

Die Verkehrsregelung an Kreuzungen und Einmündungen soll so sein, dass es für den Verkehrsteilnehmer möglichst einfach ist, sich richtig zu verhalten. Es dient der Sicherheit, wenn die Regelung dem natürlichen Verhalten des Verkehrsteilnehmers entspricht.

E-Mail vom 27.03.2023

Es gibt in Bochum und um Bochum herum zahlreiche Beispiele, wo der Radverkehr auf einer Bahntrasse Vorfahrt gegeben wird – sogar auf der Springorum-Trasse.

Springorum-Trasse / Nevelstraße
Springorum-Trasse / Nevelstraße: Der Radweg (Springorum-Trasse) hat Vorfahrt gegenüber der Straße.

Auf dem Panoramaradweg Niederbergbahn gibt es sogar ein Beispiel für »Vorfahrt gewähren« (Stop-Schild) auf der querenden Straße.

Panoramaradweg Niederbergbahn. Stop-Schild an der querenden Straße
Poller, Sperren und Schranken ändern nichts an der Vorfahrtregelung.

Beispiel Erzbahntrasse

Erzbahntrasse / Hordeler Heide. Der von rechts kommende Weg (kaum zu sehen) hat hier Vorfahrt.
Erzbahntrasse / Hordeler Heide. Der von rechts kommende Weg (kaum zu sehen) hat hier Vorfahrt. Dient das der Verkehrssicherheit durch die Einheit von Bau und Betrieb?
Die Erzbahntrasse quert den Kabeisemannsweg. Auf der Straße gilt Tempo-20. Die Bahntrasse ist kaum einsehbar.

Am Kabeisemannsweg hat die Stadt Bochum mit einer bemerkenswerten Argumentation eine Beschilderung mit Vorfahrt für das Fahrrad auf dem Bahntrassenweg abgelehnt:

Die Verwaltung hat eine bevorrechtigte Querung geplant. Es sollte die Erzbahntrasse gegenüber
dem Kabeisemannsweg in der Höhe angehoben werden. Links und rechts wäre die Anhebung
durch Rampensteine eingefasst worden. In der Abstimmung über die verkehrsrechtlichen Belange
wurde festgestellt, dass nur eine Bevorrechtigung sowohl des Fuß- als auch des Radverkehrs in
Betracht kommt, damit eine für alle Verkehrsarten gleiche Bevorrechtigungssituation entsteht. Bevorrechtigungen des Fußverkehrs sind nach der aktuell gültigen Straßenverkehrsordnung nur mit
Zebrastreifen oder bei Gehwegsüberfahrten möglich. Hier wäre nur ein Zebrastreifen möglich gewesen, da eine Gehwegsüberfahrt nicht eindeutig als solche hätte erkennbar gemacht werden
können.
Zebrastreifen müssen nach den Richtlinien für Fußgängerüberwege mindestens drei Meter breit
und beleuchtet sein.
Da Radverkehr zwar auf Zebrastreifen fahren darf, dann aber keinen Vorrang gegenüber dem
kreuzenden Verkehr hat, sollte die Erzbahntrasse im Bereich der Kreuzung aufgeweitet und in einen getrennten Geh- und Radweg aufgeteilt werden. Dies wäre baulich möglich gewesen.
Weder die Erzbahntrasse noch der Kabeisemannsweg sind aktuell an die Straßenbeleuchtung angeschlossen. Um den Zebrastreifen wie vorgesehen beleuchten zu können, hätten von der HüllerBach-Straße aus auf einer Länge von etwa 640 Metern Freileitungen als günstigste Lösung angelegt werden müssen. Dadurch würden nach Berechnung der Stadtwerke Bochum Kosten in Höhe
von etwa 76.000 Euro entstehen.
Der Umbau des Knotenpunktes selbst würde weitere Kosten verursachen.
Aufgrund der hohen Kosten für die Beleuchtung empfiehlt die Verwaltung, die Kreuzung Erzbahntrasse/Kabeisemannsweg nicht umzugestalten.

Beschlussvorlage 20231718 vom 30.06.2023

Das ist einzigartig. Bochum legt ohne Not den strengsten möglichen Maßstab an (Vorrang für Fußgänger) und erreicht damit die Verteidigung des Status Quo: Kein Vorrang für Radfahrende.

An keiner einzigen Bahntrasse in Bochum und Umgebung habe ich jemals ein vergleichbares Vorgehen erkennen können. An vielen Stellen hat der Radweg Vorfahrt gegenüber einer querenden Straße, aber nie, nirgendwo gibt es einen Zebrastreifen auf einem Bahntrassenweg.
Das ist auch nicht notwendig. Fußgänger werden durch die StVO an solchen Stellen auch ohne Zebrastreifen besonders geschützt. Zebrastreifen sind für Straßen, nicht für Radwege.

Für die Aufspaltung eines gemeinsamen Geh- und Radwegs in einen Radweg und einen getrennten Gehweg, an den ein Zebrastreifen (Mindestbreite 3 Meter) anschließen könnte, ist auf den Bahntrassen überhaupt kein Platz. Zudem würde eine außerordentlich komplizierte Situation entstehen, da Fußgänger und Radfahrer dann auch noch die Seiten wechseln müssten und sich gegenseitig in die Quere kommen.

Sicherheitsgewinn: Null.

Aber so kann die Stadt Bochum wenigstens die Vorfahrt für den Radverkehr verhindern.

Konsequenterweise müsste Bochum nach ihrer eigenen Argumentation alle Bahntrassenwege (Erzbahn, Springorum, Lothringen) in Velorouten gemäß Radverkehrskonzept umwandeln mit getrennten Wegen für Fußgänger und Radfahrer.
Das wäre schön, ist aber nicht machbar: Der Platz ist gar nicht da und man müsste alle Brücken neu bauen.

Nicht zuletzt: Alle gezeigten Beispiele für Vorfahrt auf Radwegen sind rechtlich nicht einwandfrei:
Wenn die Vorfahrt über Verkehrszeichen geregelt wird, müssen immer Verkehrszeichen für beide Seiten aufgestellt werden. »Vereinsamte« Zeichen 205, 206, 301 und 306 sind nicht zulässig.

Gelegentlich findet man Kreuzungen bzw. Einmündungen, bei denen in einer Straße das Zeichen 205 oder 206 aufgestellt ist, auf der dazu querenden Straße aber ein entsprechendes Vorfahrtzeichen (Z 301) oder das Vorfahrtstraßenzeichen (Z 306) fehlt. Eine solche Beschilderung ist fehlerhaft.

https://verkehrslexikon.de/Texte/Vorfahrt17.php

Jede Kreuzung und Einmündung, in der vom Grundsatz »Rechts vor Links« abgewichen werden soll, ist sowohl positiv als auch negativ zu beschildern, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb geschlossener Ortschaften. Ausgenommen sind Ausfahrten aus verkehrsberuhigten Bereichen (Zeichen 325.1, 325.2) sowie Feld- und Waldwege, deren Charakter ohne Weiteres zu erkennen ist. Straßeneinmündungen, die wie Grundstückszufahrten aussehen sowie Einmündungen von Feld- oder Waldwegen können einseitig mit Zeichen 205 versehen werden.

VwV-StVO. Zu den Zeichen 205 und 206 Vorfahrt gewähren. und Halt. Vorfahrt gewähren.
Absatz 6 VI.
Nordsternweg (Bahntrassenweg, Essen)
Das einzige bekannte Beispiel mit korrekter, positiver und negativer Vorfahrt-Beschilderung: Nordsternweg (Bahntrassenweg in Essen). Mit Aufpflasterung der Bahntrasse und selbstverständlich ohne Zebrastreifen.

Vertiefend:
AGFS NRW nahmobil 17: Kreuz und quer = Stop-and-go? (Pdf, 2021)
AGFS NRW Leitfaden: Querungsstellen für die Nahmobilität (Pdf, Stand Oktober 2021)

2 Kommentare bei „Vorfahrt fürs Fahrrad!“

  1. Zum letzten Bild des Artikels:
    Die Vorfahrtsbeschilderung mag korrekt sein.
    Aber es fehlen die Verkehrszeichen, welche den „Rechtscharakter“ des Weges (reiner Radweg? Geh-Radweg, – was hier wahrscheinlich ist-, reiner Gehweg, Straße ??) an diesem „Knotenpunkt“ ausweisen.
    Woher sollen die von der Straße Einbiegenden wissen, auf welchem Weg sie sich dann befinden?
    Unter diesen Umständen könnte sogar motorisierter Verkehr (Mofas, Mopeds uä.) diesen Weg nutzen.
    Wenn schon korrekt, dann aber bitte korrekte Beschilderung in jeglicher Hinsicht!

  2. Da ist sie wieder, die alleinige Radfahrersicht.
    Merke: Bei gemeinsamen Geh-/Radwegen ist eine Vorfahrt nur für Radelnde egoistisch und widersprüchlich.
    Denn: Jogger, Fußgänger und auch Inlineskater haben keinen Vorrang vor dem Kfz-Verkehr bei derartigen „Knotenpunkten“ mit vorfahrtregelnden Verkehrszeichen.
    Mit anderen Worten: Die querenden Fußgänger sind selber schuld, wenn es dann zum Verkehrsunfall mit dem Kfz-Verkehr kommen würde (ist wahrscheinlich äußerst selten an solchen Stellen, aber denkbar) und im Falle eines schweren Personenschadens wird sehr genau auf die rechtliche Seite des Verkehrsunfalls geschaut.
    Aus diesem Grunde ist es schon nachvollziehbar, wenn die verantwortlichen Straßenbau-und Verkehrsbehörde diese Art der „Vorfahrtsregelung“ kritisch sieht.

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