Warum indirekt links abbiegen in Bochum nicht funktioniert

Ardeystraße, Witten (08.06.2024)

Bild: Ardeystraße, Witten (28.06.2024)

Das Rad neu erfinden, aber diesmal mit Ecken, ist eine Bochumer Spezialität.

Das gilt nicht nur für »Protected Bike Lanes« (siehe Universitätsstraße, siehe Hattinger Straße), sondern auch für das indirekte Linksabbiegen.

Wenn ich richtig recherchiert habe, hat Bochum zuerst vor etwa zwanzig Jahren an der Kreuzung der Universitätsstraße mit der Wasserstraße indirektes Linksabbiegen offiziell installiert. Ich wurde darauf aufmerksam, weil unmittelbar danach eine Welle des Protestes den ADFC Bochum erreichte. Die Radfahrer, die versucht hatten, dort den Markierungen und Signalen zu folgen, hatten alle die Erfahrung gemacht, dass das gar nicht möglich war.

Die ersten Fotos von dieser Kreuzung mit Radfahrstreifen und Ampeln (Lichtsignalanlagen) stammen von 2005.

Kreuzung Universitätsstraße / Wasserstraße, Fahrtrichtung RUB.
Kreuzung Universitätsstraße / Wasserstraße (26.02.2005), Fahrtrichtung RUB.
Die Aufstellfläche ist zu eng. Das Lichtsignal ist von der Haltelinie aus nicht einsehbar.

Bochum hatte entschieden, die Markierungen so anzulegen, dass der Radfahrer schon vor dem Halt die Fahrtrichtung wechseln muss und sich dann in der neuen Fahrtrichtung an der Haltelinie aufstellt (wenn denn überhaupt eine vorhanden ist). Das zugehörige Lichtsignal müsste sich dann vor der Haltelinie geradeaus im Blickfeld des Radfahrers befinden. Dazu ist aber gar kein Platz da. Außerdem hatte Bochum keine tiefer angebrachten, kleinen Zusatzsignale für den Radverkehr vorgesehen.

Die Folge: Indirektes Linksabbiegen war trotz des ganzen Aufwands nicht möglich. Das hätten Tiefbauamt und Straßenverkehrsbehörde auch ganz einfach selbst feststellen können, wenn Sie denn bereit gewesen wären, diese Installation mal selbst mit dem Fahrrad zu befahren. Das haben sie aber nicht gemacht. Stattdessen sind sie mit dem Auto hingefahren und haben die Situation durch die Windschutzscheibe begutachtet. Es regnete nämlich. Sie kamen – natürlich – zu dem Schluss, alles sei in Ordnung. Wer will sich denn auch selbst kritisieren?

Der eigentliche – schlechte – Witz an der Sache ist, dass das indirekte Linksabbiegen an dieser Kreuzung bis heute (20.08.2024) nicht funktioniert. Trotz aller Reparaturversuche. An drei von vier Seiten der Kreuzung ist indirektes Linksabbiegen immer noch nicht möglich. Es müsste aber – wie alle wissen – kinderleicht sein. Wasserstraße und Universitätsstraße sind Schulwege.

Etwas besser, aber auch nicht gut, funktioniert das indirekte Linksabbiegen an der Kreuzung Universitätsstraße / Oskar-Hoffmann-Straße. Die Probleme sind hier wie dort die gleichen:

  • Radfahrer müssen auf engstem Raum eine spitze Kurve von mehr als 110° fahren.
  • Das Lichtsignal (die Ampel) ist von der Haltelinie aus nicht oder kaum einsehbar.
Kreuzung Universitätsstraße / Wasserstraße (29.07.2010), 
Keine Haltelinie, das Fahrrad steht vor (!) der Ampel.
Kreuzung Universitätsstraße / Wasserstraße (29.07.2010). Es gibt keine Haltelinie, das Fahrrad steht vor (!) der Ampel.

Was sagen die »Empfehlungen für Radverkehrsanlagen« (ERA 2010)?

Es ist ganz einfach: Die Aufstellfläche zum indirekten Linksabbiegen wird rechts neben dem Radfahrstreifen in der vorherigen Fahrtrichtung geradeaus angeordnet. Das zugehörige Lichtsignal steht direkt vor der Aufstellfläche in der Sichtachse des Radfahrers.

Einfacher geht es gar nicht, aber Bochum macht das bis heute nicht. Weil Bochum eben Bochum ist.

Witten hat die ERA gelesen

Vor kurzem hat Witten den großflächigen Umbau des Kreuzungsbereichs Ardeystraße / Pferdebachstraße / Rheinischer Esel abgeschlossen und dabei an der Kreuzung Ardeystraße / Pferdebachstraße / Johannisstraße auch indirektes Linksabbiegen für Radfahrer installiert.

Wie an den beiden Kreuzungen der Bochumer Universitätsstraße mit Wasserstraße bzw. Oskar-Hoffmann-Straße gibt es auch hier Radfahrstreifen und Ampeln (LSA). Sonst ist alles anders und das heißt hier: richtig.

  • Witten ordnet die Aufstellflächen »geradeaus« an, wie von den ERA vorgesehen.
  • Witten benutzt explizite Mehrfeld-Fahrradampeln, direkt in der Sichtachse der Radfahrer.
Ardeystraße / Pferdebachstraße Witten (08.06.2024). Links abbiegen erst bei Grün. Klar und einfach.
Ardeystraße / Pferdebachstraße Witten (08.06.2024). Links abbiegen erst bei Grün. Klar und einfach.
Ardeystraße / Pferdebachstraße Witten (08.06.2024). Mehrfelderampel für Radfahrer.
Ardeystraße / Pferdebachstraße Witten (08.06.2024). Mehrfelderampel für Radfahrer. Klar und einfach. Gut zu sehen.

Wozu also eckige Räder, wenn es schon runde gibt?

Update 06.09.2024:

Das geht gar nicht: Indirekt links abbiegen von der Veloroute #11

Veloroute #11, Glücksburger Straße
Veloroute #11, Glücksburger Straße: »Linksabbieger Überweg benutzen«

Das bedeutet: »Radfahrer absteigen« und schieben. Denn:

  • Es gibt keine Aufstellfläche
  • Es gibt kein Lichtsignal
  • Es gibt keine Verbindung zur Fahrbahn an der Glücksburger Straße
  • Wer fährt, wird Geisterradler.
So wird man Geisterradler. Siehe: Geisterradler-Kampagne: Die Geister, die ich rief …

Das Grünsignal für die Fahrbahn Richtung Essen, muss per Druckknopf angefordert werden. Das ist nur vom Gehweg aus erkennbar. Der Taster befindet sich unsichtbar an der Rückseite des Ampelmasts.

Lieber gar nicht mehr abbiegen?

Weil indirektes Linksabbiegen in Bochum so schwer zu realisieren ist, hat sich Bochum an mehreren Kreuzungen entschieden, Linksabbiegen einfach komplett wegzulassen. Die Radfahrer können ja – so wohl die Bochumer Autofahrerlogik – absteigen und sich als Fußgänger einen Weg über die Kreuzung suchen.

Beispiele (möglicherweise gibt es noch mehr):

  • Universitätsstraße / Friederikastraße
  • Wittener Straße / Steinring
Universitätsstraße / Friederikastraße. Linksabbiegen ist vom Radweg aus nicht möglich.
Universitätsstraße / Friederikastraße: Linksabbiegen ist vom Radweg aus nicht möglich.

In beiden Fällen gibt es einen Radweg und es ist von diesem Radweg aus nicht möglich, nach links abzubiegen – weder direkt noch indirekt.

Auch die berüchtigten Probleme an der Kreuzung am Schauspielhaus (Königsallee / Hattinger Straße / Oskar-Hoffmann-Straße) gehen auf den Bochumer Eigenwillen zurück. Hätte sich Bochum einfach nach ERA und RiLSA gerichtet – es gäbe die Probleme nicht.

P.S.: Osnabrück

Osnabrück, wo indirektes Linksabbiegen schon lange an vielen Kreuzungen gut funktioniert hatte, sah sich 2022 gezwungen, alle Kreuzungen mit indirektem Linksabbiegen komplett umzubauen, weil sie eine (neue) Regel bezüglich der Lichtsignale (Ampeln) nicht beachtet hatten:

An insgesamt 41 (!) Kreuzungen im Stadtgebiet wird das Linksabbiegen für Fahrradfahrer neu geregelt. Fahrradfahrer müssen daher in den kommenden 15 Monaten umdenken und bis ein sicheres Linksabbiegen wieder möglich ist – dann nach einem neuen System – werden die alten sicheren Aufstellflächen abgeklebt und die Fahrradampeln ebenfalls außer Betrieb gesetzt.
(https://www.hasepost.de/stadt-osnabrueck-veraendert-das-indirekte-linksabbiegen-fuer-radfahrende-308151/
https://informiert.osnabrueck.de/de/aktuelles/stadt-osnabrueck-veraendert-das-indirekte-linksabbiegen-fuer-radfahrende/)

Die bundesweit gültigen Vorgaben für Ampeln sind in den »Richtlinien für Lichtsignalanlagen« (RiLSA 2015) festgelegt. Hiervon wich das indirekte Linksabbiegen, wie es in Osnabrück bisher praktiziert wurde, ab.
In Osnabrück waren die Lichtsignale in Linksabbiegerichtung auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung angebracht. Auch z.B. Dortmund hat das so gemacht. Dadurch entsteht eine rechtliche Lücke.
Die für den Radfahrenden maßgebliche Ampel wird sich nach der Umstellung in gerader Richtung unmittelbar vor dem Radfahrenden – also an dessen Startpunkt – befinden – wie in Witten bereits realisiert.

Ein Kommentar bei „Warum indirekt links abbiegen in Bochum nicht funktioniert“

  1. Peter Kampmann sagt:

    Als routinierter Rad-Pendler, der sehr häufig das Bochumer Stadtgebiet durchquert, kann ich die Kritik an der Umsetzung bzw an der Verhinderung einer ansprechenden und sicheren Fahrradinfrastruktur, die in nahezu allen Artikeln auf dieser Plattform beschrieben wird, voll und ganz nachvollziehen. Meines Erachtens sollte die Sicherheit von Radfahrern und Fußgängern im urbanen Umfeld in jedem Fall höher priorisiert sein, als die Bequemlichkeit motorisierter Verkehrsteilnehmer. Bisher war mein Gedanke stets „in Bochum und auch Witten (mein Wohnort) können sie es einfach nicht“. Nach der Lektüre vieler hier publizierter Beschreibungen komme ich allerdings mehr und mehr zu dem Schluß „sie wollen es nicht“.
    Das Bemühen um die Einrichtung der Möglichkeit des sog. indirekten Linksabbiegens mögen zwar in gewisser Weise endlich einmal in die richtige Richtung zeigen (Stichwort Radfahrersicherheit), ich halte es aber für notwendig, das Radfahren im Verkehrsfluß sicherer zu gestalten, ohne Radfahrende in eine Warteposition zu bremsen, während der motorisierte Abbiegeverkehr weiterfährt. Auch als Radfahrender möchte ich einmal ankommen…
    Es wird doch irgendwo in Europa im urbanen Bereich auch Beispiele geben, die ein für die Fahrradinfrastruktur verantwortlicher Planungsmitarbeiter sich abgucken könnte, um das sichere „Mitschwimmen“ des Fahrradverkehrs auch in Abbiegesituationen zu gewährleisten.

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