(Anwohnerparken an der geplanten Veloroute #1 in Riemke)
Oder doch? Das Tiefbauamt widerspricht sich laufend selbst.
In der letzten Sitzung der Bezirksvertretung Bochum-Mitte am 22.08.2024 wurden am selben Tag zwei Tagesordnungspunkte behandelt, die in derselben Frage zu diametral entgegengesetzten Entscheidungen führten:
- TOP 1.1: Eine Bürgeranregung nach GO NRW § 24 zur Verkehrsberuhigung der Hildegardstraße in Hamme (Beschlussvorlage 20241278).
- TOP 2.4: Die Planung des Tiefbauamts zum Umbau des Lohrings: Grundhafte Erneuerung und Anlage von Radfahrstreifen (Beschlussvorlage 20241726).
Die WAZ hat zu beiden Vorlagen und Beschlüssen berichtet:
Anwohner für Fahrradstraße – warum die Stadt Bochum abwinkt
Bochumer Hauptverkehrsader wird umgebaut: Parken entfällt (WAZ+)
Interessant wird es, wenn man untersucht, was Politik und Verwaltung in diesen beiden Fällen über das private Parken im öffentlichen – dem Gemeingebrauch gewidmeten – Raum sagen.
Hildegardstraße
»Die Stadt Bochum ist bemüht, immer mehr Wohnstraßen in Fahrradstraßen umzugestalten.« so die WAZ.
Der oder die anonym bleibende Bürger*in hatte den Antrag wie folgt begründet:
»Die Hildegardstraße ist eine Straße, die sehr unter dem Parkdruck des Viertels leidet. Auf beiden Seiten der Straße parken Fahrzeuge, sodass nur noch eine einspurige Fahrbahn frei bleibt. Ausweichmöglichkeiten gibt es wenige.« Und weiter: »Wenn man als Radfahrende in die Straße fährt und eigentlich Vorfahrt hätte, weil man als erste*r in der Engstelle ist und dann ein Auto entgegenkommt, wird man regelmäßig zur Seite gedrängt oder das Auto fährt einfach, trotz zu geringem Platz und Abstand zur Radfahrenden Person, vorbei.«
Der »Parkdruck« führt also zu einer ständigen Verkehrsgefährdung – wie in vielen anderen Straßen innerhalb von Tempo-30-Zonen, in denen – legal – beidseitig geparkt wird, obwohl die Fahrbahn dazu nicht breit genug ist. Die Folge ist eine gewaltsame Diskriminierung des Radverkehrs:
»Einerseits bietet es sich aufgrund der Innenstadtnähe sehr an, mit dem Rad unterwegs zu sein, aber Start und Ende in der Hildegardstraße vergrämen es einem*r, wenn man sich denn überhaupt traut, mit dem Rad hier zu fahren.«
Die Antwort der Verwaltung: »Die Einrichtung einer Fahrrad Straße wird durch die Verwaltung abgelehnt, da diese nur mit großem Stellplatzverlust zu realisieren wäre und im Quartier, wie beschrieben, sehr hoher Parkdruck herrscht.«
Mit anderen Worten: Der »Parkdruck« rechtfertigt laut Verwaltung die Gefährdung und Diskriminierung des Radverkehrs. Ein Satz kommt in dieser Beschlussvorlage nicht vor: »Es gibt keinen Anspruch auf Parkflächen im öffentlichen Raum«. Auch von der Vision Zero oder dem Primat der Sicherheit des Verkehrs – inklusive des Radverkehrs – ist nicht die Rede.
Die Bezirksvertretung entschied sich laut WAZ, wie üblich der Ansicht der Verwaltung zu folgen.
Lohring
Der Lohring soll ausgebaut werden und beidseitig Radfahrstreifen bekommen. Auch die Gehwege werden verbreitert. Seine Bedeutung insbesondere für den Radverkehr als wichtige innerstädtische Verbindung werde zunehmen, so die Verwaltung. Ziel sei es, von der Hattinger- bis zur Castroper Straße eine durchgängige Verbindung für Radfahrer zu schaffen. Der Umbau stehe auch im Einklang mit dem von der Stadt Bochum im Mobilitätskonzept verfolgten Ziel, mittelfristig auf den Cityradialen und Hauptverkehrsstraßen Radverkehrsanlagen einzurichten.
Am Lohring befinden sich mehrere Schulen und Sportanlagen. Es besteht auch hier »Parkdruck«. Trotzdem erklärt die Verwaltung: »Nach Durchführung der Baumaßnahmen ist aufgrund der Radfahrstreifen ein Parken am Fahrbahnrand nicht mehr möglich. Daher entfallen hier ca. 50 – 60 Parkmöglichkeiten. Ersatzangebote können nicht gemacht werden.«
Laut WAZ entgegnete Uwe Herker vom Tiefbauamt den Einwänden von Seiten der CDU im Bezirk Mitte:
»Es gibt keinen Anspruch auf Parkflächen im öffentlichen Raum.«
Denselben Satz hatte auch schon vor langer Zeit Christoph Matten vom Tiefbauamt den Einwänden gegen einen Radfahrstreifen auf dem Castroper Hellweg in Gerthe entgegengestellt.
Es gibt einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen dem »Parkdruck« auf der Hildegardstraße und dem »Parkdruck« auf dem Lohring: Im ersten Fall sind die Anwohner direkt betroffen (Das eigene Auto vor der eigenen Haustür parken), im anderen Fall gibt es keine Anwohner.
Rechtlich macht das keinen Unterschied, politisch aber sehr wohl. Deshalb gibt es jedes Mal und überall lauten Widerspruch, wenn vermeintliche Ansprüche auf Parken vor der eigenen Haustür gefährdet sind.
Bestes Beispiel: Das lange und laute Gezeter um die geplante Veloroute #1, die durch zahlreiche Anwohnerstraßen führen soll. Den rechtlich völlig unstrittigen Satz »Es gibt keinen Anspruch auf Parkflächen im öffentlichen Raum.« wird man dort nie hören – schon gar nicht vom Tiefbauamt.
In Paris hat die Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo schon 2020 angekündigt, wie werde 70.000 Parkplätze im öffentlichen Raum aufheben und für andere Zwecke umnutzen. Damit wird jeder zweite oberirdische Parkplatz verschwinden. Von den 550.000 verbleibenden Parkplätzen befinden sich 480.000 in Einstellhallen.
(https://www.infosperber.ch/umwelt/boden-raum-verkehr/fuer-die-15-minuten-stadt-paris-hebt-70000-parkplaetze-auf/)
Angeblich verfolgt Bochum – genau wie Paris – das Ziel der 15-Minuten-Stadt.
Natürlich gibt es kein Recht auf einen privaten Parkplatz im öffentlichen Raum. Aber das Parken in Wohnstraßen hat den Vorteil, dass indirekt der Verkehr durch Verschmälerung der Fahrbahn beruhigt wird. Als früherer Anwohner der Hildegardstr. wußte ich diese „Verkehrsberuhigung“ in dieser Tempo-30-Zone immer sehr zu schätzen. Auch die Umwandlung der Hildegardstr. in eine Fahrradstraße würde bei Entfallen des Parkens auf der Fahrbahn (nördliche Seite der Hildegardstr.) die Durchfahrgeschwindigkeit von MIV gegenüber der jetzigen Situation erhöhen.