Dooring-Unfälle: Besser kein Radweg als ein schlechter

Unfallort: Herner Straße 3

Bild: Typische Situation am Unfallort Herner Straße 3.

Am Montag, 9. September 2024 , kam es an der Herner Straße zu einem sogenannten „Dooring“-Unfall.

Ein 67-jähriger Bochumer war gegen 12.35 Uhr mit seinem Fahrrad auf dem Radweg der Herner Straße in Richtung Innenstadt unterwegs. In Höhe der Hausnummer 3 öffnete zeitgleich ein 62-jähriger Bochumer die Tür seines geparkten Wagens, um auszusteigen.
Der Radfahrer stieß mit der geöffneten Autotür zusammen und stürzte. Dabei wurde er schwer verletzt und musste zur weiteren Behandlung in ein Krankenhaus gebracht werden.

https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11530/5861297

Der Unfallort gehört zum Abschnitt der Herner Straße zwischen Brückstraße und Nordring. Das war der erste Bauabschnitt der Herner Straße, fertiggestellt Anfang 2000, also vor 24 Jahren. Es gibt dort am rechten Fahrbahnrand Parkstreifen ohne jeden Trennstreifen zum Radfahrstreifen.

Die Herner Straße war nach der Universitätsstraße (fertiggestellt 1999) die zweite Bochumer Straße mit Radfahrstreifen. Damals gab es schon die ersten »Empfehlungen für Radverkehrsanlagen« (ERA) der FGSV aus dem Jahr 1995. Auch die ERA 95 verlangte bereits 1,85 m breite Radfahrstreifen, Sicherheitsabstände zu parkenden Kfz und einen ausreichenden Abstand zu Straßenbahngleisen (ERA 95, S. 36).

Bei benachbartem Parken sind zusätzliche Schutzbereiche zwischen Radfahrstreifen und parkenden Fahrzeugen hinzuzurechnen. Zwischen beidseitig parkenden Fahrzeugen erhöht sich dann die benötigte Fahrbahnbreite um 1,00 m.
Parkstreifen rechts neben Radfahrstreifen müssen 0,50 m breiter sein als das Richtmaß.

(ERA 95, Seite 33 und S. 41).
Typische Situation an der Herner Straße 3 am 11.09.2024 kurz vor 9 Uhr.
Typische Situation an der Herner Straße 3 am 11.09.2024 kurz vor 9 Uhr. Erst kam ein normales Fahrrad vorbei, dann ein Lastenrad und danach ein Fahrrad mit Kindersitz.

Seitdem hat das Augenmerk für die Gefahren durch plötzlich geöffnete Autotüren deutlich zugenommen. Die ERA 2010 verlangte ebenfalls 50 cm Sicherheitsraum, aktuell verlangt die FGSV konsequent 75 Zentimeter.
In den folgenden Bauabschnitten der Herner Straße, etwa ab der A40, wurden Sicherheitstrennstreifen eingeplant, aber teilweise in ungenügender Form. An der A40 wird die Herner Straße bis zur A43 vierstreifig. Dadurch wird es eng. Heute gilt dort Tempo-30 und die Straße erscheint viel zu breit.

Spätestens 2019 wurde das Problem offensichtlich.

Am 11.06.2019 gab es einen Dooring-Unfall auf der Herner Straße in Höhe der Hausnummer 371 mit LKW-Beteiligung.

Unfallort in Höhe der Herner Straße 317. Der ungenügende Sicherheitstrennstreifen ist deutlich zu erkennen (gestrichelte Markierung im Parkstreifen!)

Zum Glück nicht von Lkw überrollt! – Radfahrer (59) hat eine »Hundertschaft von Schutzengeln«

https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11530/4295080

Gegen 12.10 Uhr war ein Fahrradfahrer dort stadteinwärts unterwegs.
Eine Bochumerin (57), die ihr Auto auf dem rechtsseitig vom Radweg gelegenen Parkstreifen abgestellt hatte, öffnete plötzlich die Fahrertür.
Der Radfahrer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, fuhr gegen die Tür und stürzte nach links auf die Fahrbahn.
Hier geriet der Radfahrer unter die Front eines parallel fahrenden Lastwagens. Geistesgegenwärtig konnte sich der Mann aber zum Glück mit seinen Beinen noch schnell genug vom Radkasten wegdrücken, so dass er nicht unter den Vorderreifen geriet. Das Mountainbike wurde von diesem Reifen überrollt und erheblich beschädigt.
Eine Rettungswagenbesatzung brachte den ansprechbaren 59-Jährigen zur Behandlung der Sturzverletzungen in ein örtliches Krankenhaus.

Der ungenügende Sicherheitstrennstreifen wird in dem Unfallbericht nicht erwähnt. Zusammen mit dem ungenügenden Überholabstand des Lkw ist er eine wesentliche Ursache für den Unfall.

Die »Empfehlungen für Radverkehrsanlagen« von 1995 betonen mehrfach: Besser kein Radweg als ein schlechter Radweg.

Unzulängliche Radverkehrsanlagen sind besondere Gefahrenquellen. Sind ausreichend breite und gut befahrbare Radwege oder Radfahrstreifen nicht zu verwirklichen, so ist es in der Regel besser, den Radverkehr im Mischverkehr auf der Fahrbahn zu führen. Wird Radverkehr im Mischverkehr auf der Fahrbahn geführt, so soll dies mit radfahrerverträglichen Geschwindigkeiten des Kraftfahrzeugverkehrs verbunden sein.

ERA 95, S. 28

Sind z.B. Radfahrstreifen aufgrund des Flächenkriteriums nicht möglich, kann die Führung im Mischverkehr auf der Fahrbahn, gegebenenfalls in Verbindung mit geschwindigkeitsdämpfenden Maßnahmen oder einem Angebotsstreifen, in vielen Fällen günstiger sein als mängelbehaftete Radwege.

ERA 95, S. 35

Unfallursache in beiden Fällen: Ein mangelhafter bzw. fehlender Sicherheitstrennstreifen.
Das ist ein Kardinalproblem, das Politik und Verwaltung in Bochum mit voller Absicht nicht angehen.
Das Radverkehrskonzept der Stadt Bochum war methodisch darauf angelegt, dieses Problem zu verschleiern und damit aus dem Blickfeld zu rücken.
Dementsprechend hat die Leiterin des Tiefbauamts auf die begründete Kritik von Radaktivisten reagiert, indem sie den vorhandenen Bestand an mangelhaften und ungenügenden Radwegen aus ihrem Handlungskonzept kategorisch ausgeschlossen hat.

Nicht nur an der Herner Straße fehlen die Sicherheitstrennstreifen oder sind ungenügend. An der Dorstener Straße (fertiggestellt 2006) wurden fehlende Sicherheitstrennstreifen mit ungenügender Breite der Radfahrstreifen und mit Straßenbahngleisen ohne ausreichenden Abstand zum Radfahrstreifen kombiniert. Das zwischen Straßenbahngleisen und Radfahrstreifen ein Sicherheitsabstand notwendig ist, stand ebenfalls schon in den »Empfehlungen für Radverkehrsanlagen« von 1995.

An der Dorstener Straße werden Radfahrer somit gleich dreifach in die Zange genommen:

  • fehlende Sicherheitstrennstreifen
  • ungenügender Breite der Radfahrstreifen
  • Straßenbahngleise ohne ausreichenden Abstand zum Radfahrstreifen

Der erste Abschnitt der Dorstener Straße – gleich um die Ecke von der Herner Straße – ist notorisch berüchtigt für Dooring-Unfälle, gilt aber nicht als Unfallhäufungspunkt.
Verschärft wird die Gefahr auf beiden Straßen durch die anliegenden Geschäfte, die für eine hohen Anzahl von legalen und nicht legalen Kurzzeitparkern sorgen.

Schon die »Empfehlungen für Radverkehrsanlagen« von 1995 kannten die Alternativen:

Ist ein Flächengewinn durch Maßnahmen dieser Art nicht möglich, muß gegebenenfalls auf Radverkehrsanlagen in Form von Radfahrstreifen oder Radwegen verzichtet werden und die Führung des Radverkehrs im Mischverkehr auf der Fahrbahn vorgesehen werden (in der Regel in Verbindung mit wirksamen Maßnahmen zur Geschwindigkeitsdämpfung und/oder in besonderen Führungsformen).

(ERA 95, S. 34)

Nach 15 Jahren Erfahrung mit Herner und Dorstener Straße sind wir also genau da, wo die ERA 95 schon vor dreißig Jahren waren:

Tempo 30 oder Radwege nach ERA Standard.

Neu ist seitdem eigentlich nur der mittlerweile durch die StVO explizit vorgeschriebene Überholabstand von 1,50 m, der durch die Rechtsprechung aber auch schon vorher festgelegt war.

Was tut die »fahrradfreundliche« Stadt Bochum: Nichts.

2 Kommentare bei „Dooring-Unfälle: Besser kein Radweg als ein schlechter“

  1. Jürgen staudenmaier sagt:

    Meinem erwachsenen Sohn ist auch ein Dooringunfall passiert. Der Vorfall ereignete sich am 05.09.2024 in Fürth Bayern auf der Leyerstraße. Dort ist auch ein sogenannter Fahrradstreifen angebracht. Benutzungspflicht für Rad- und E-Scooterfahrer. Auch die Breite des Fahrradstreifen ist nicht ausreichend und entspricht nicht den gesetzlichen Auflagen. Breite des Radweges 127 cm mit Fahrstreifenbegrenzungsstreifen von 25 cm, also eine verbleibende Breite von 102 cm als Radfahrstreifen. Am rechten Rand befinden sich Parkbuchten für PKW, ohne jeglichen Sicherheitsabstand zu dem Fahrradstreifen. Mein Sohn fuhr soweit links wie es ihm möglich war, als eine Autofahrerin ihre Autotür in den Radfahrstreifen öffnete, ohne auf dort Fahrende zu achten. Mein Sohn stürzte und wurde verletzt und im Anschluss in ein Krankenhaus gebracht. Noch während mein Sohn versorgt wurde, befragte ihn ein Polizist, und meinte, er hätte mehr links fahren müssen. Obwohl es einen Verletzten gegeben hat, wurde der Unfall nicht aufgenommen. Nochmal zur Erinnerung Breite des Radfahrstreifen. 102 cm , geöffnete Fahrertür ca.105 cm. Da heißt, noch weiter links, bedeutet fahren auf dem Fahrstreifen für Autos. Im Klartext heißt das, ich kann mir den Radweg schenken und die gesamte Strecke , um einen Dooringunfall zu vermeiden, auf der Fahrbahn neben dem Radfahrstreifen zurücklegen.
    Die Moral von der Geschichte, solche Fahrradstreifen braucht man nicht.

  2. Ferdinand Cramer sagt:

    Sehr gut dargestellt. Ich vermisse allerdings die Erwähnung der Falschparker links vom Radstreifen an der Herner Straße 3.
    Die stehen da eigentlich immer und ich verstehe nicht, dass das toleriert wird.

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