Bild: Oskar Hoffmann-Straße mit Radfahrstreifen und falsch ausgeführtem Sicherheitstrennstreifen (2022)
Radfahrer*innen müssen einen gebührender Abstand von parkenden Autos halten. Das ist seit Jahrzehnten gängige Rechtsprechung, in der StVO aber – anders als der Überholabstand von Kfz – nicht geregelt. Also gibt es bei Dooring-Unfällen vor Gericht dauernd Streit: War der Autofahrer schuld oder der Radfahrer?
Die zentrale Unfallursache bei Dooring-Unfällen ist der fehlende Schulterblick beim Aussteigen aus dem Auto. (UDV (1) S. 20)
Die Rechtsprechung geht von 1 Meter Seitenabstand aus, den Radfahrende einhalten müssen, um bei einem Unfall keine Mitschuld zu tragen. Was aber, wenn das – aus Sicht des Radfahrers – gar nicht geht?
Nach Ansicht des LG Köln ist ein Abstand von 50 cm auch dann ausreichend, wenn für den Radfahrenden erkennbar war, dass sich die Fahrertür plötzlich öffnen könnte, da das Auto erst kurz zuvor eingeparkt und die Fahrertür bereits einen Spalt bereit geöffnet habe. Ebenso begründe auch flottes Radeln (über 30 km/h) keine Mithaftung, solange und soweit die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werde.
Damit steht nach Ansicht des LG Köln fest, dass ein Autofahrer immer dann einen sog. Dooring-Unfall durch grobe Unachtsamkeit allein verursacht hat, wenn Radfahrende beim Vorbeifahren an stehenden PKW die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten und einen Sicherheitsabstand einhalten, welcher der Verkehrslage und der Breite der Straße in angemessener Weise Rechnung trägt, was in der konkreten Einzelfallentscheidung mit mindestens 50 cm der Fall war. (3)
Oft sind Parkstreifen oder Parkbuchten an älteren Straßen zudem für heutige Pkw (besonders SUV) zu schmal. Zudem ist aus Sicht des Radverkehrs nicht die in den Fahrzeugpapieren angegebene Fahrzeugbreite ohne Seitenspiegel, sondern die tatsächliche Fahrzeugbreite mit Spiegeln relevant.
Straßenbahngleise sind Radfahrerfallen
Wenn auch noch Straßenbahngleise in der einspurigen Fahrbahn liegen, ist Ausweichen im Konfliktfall gar nicht möglich (in Bochum zum Beispiel an der Dorstener Straße).
In den Untersuchungsgebieten ereignete sich jeder fünfte Dooring-Unfall auf Hauptverkehrsstraßen mit fahrbahnbündigen Straßenbahngleisen. Je nach Lage im Straßenquerschnitt können Radfahrer dabei keinen ausreichenden Abstand zu parkenden Fahrzeugen einhalten, ohne die Gleise queren zu müssen. Zusätzlich ist ein Ausweichen von sich öffnenden Fahrzeugtüren schwieriger, ohne einen Sturz durch die Gleise zu riskieren. (UDV (1) S. 123)
Verschärft wird das Problem, wenn es sich wie in Bochum um Meterspurgleise handelt und Radfahren zwischen den Schienen deshalb gar nicht möglich ist.
Im Zangengriff
Auf Straßen ohne Radwege oder mit ungenügenden – weil zu schmalen – Radfahrstreifen werden Radfahrer von beiden Seite in die Zange genommen, wenn rechts Autos parken.
Von links müsste eigentlich der vorgeschriebene Überholabstand (innerorts 1,50 m, außerorts 2,0 m) schützen. Wenn es eng wird oder ein Radfahrstreifen vorhanden ist, wird der Abstand aber gerade in kritischen Situationen von vielen Autofahrern nicht eingehalten. Das ist zweifellos eine erhebliche Verkehrsgefährdung durch »grobe Unachtsamkeit«, aber im Konfliktfall schwer zu beweisen.
Dooring-Unfälle sind statistisch eher selten, haben aber oft schwere Verletzungen zur Folge und können ohne weiteres lebensgefährlich sein, wenn ein Radfahrer nach links in den laufenden Verkehr auf der Fahrbahn stürzt. Beispiele dafür gibt es auch in Bochum.
Die FGSV hat Sicherheitsabstände von Radfahrstreifen zu parkenden Kfz schon in den ersten ERA 1995 gefordert und in der Neuausgabe 2010 verbindlich gemacht.
Der Sicherheitstrennstreifen gehört zur Fläche des parkenden Autos
Sicherheitstrennstreifen sind nicht Teil der Radverkehrsanlage.
Zwischen Radfahrstreifen und angrenzendem Parkstreifen soll immer ein Sicherheitstrennstreifen angelegt werden. Dieser wird durch Breitstrich vom Radfahrstreifen abgegrenzt und kann zusätzlich durch vorgezogene Seitenräume gesichert werden.
Der Breitstrich wird rechnerisch der Breite des Radfahrstreifens zugerechnet. (ERA 2010, S. 16, 24)
Genau gelesen ergibt sich schon dadurch aus der Sicht des Radfahrers ein Sicherheitsabstand von 0,75 m Breite zu rechts parkenden Autos, denn der Radfahrer wird den 0,25 cm breiten Breitstrich am rechten Rand des Radfahrstreifens nicht als Teil seiner Verkehrsfläche wahrnehmen.
Aktueller Stand ist zudem nicht mehr eine Breite von 0,50 m, sondern 0,75 m und zwar überall da, wo Autos parken – nicht nur neben Radfahrstreifen, sondern auch zum Beispiel in Tempo-30-Zonen.
Wenn ruhender Verkehr nicht zu vermeiden ist, sind Sicherheitstrennstreifen mit einer Breite von min. 0,75 m zu allen Arten der Radverkehrsführung vorzusehen so auch bei Schutzstreifen und in Fahrradstraßen. Auch im Mischverkehr sollte insbesondere bei schmalen Fahrbahnen ein Sicherheitstrennstreifen mit einer Breite von min. 0,75 m vorgesehen werden. (FGSV (4), S. 21 und 37)
An der Oskar-Hoffmann-Straße wäre mit einem nach heutigem Standard ausgeführten Radfahrstreifen plus Sicherheitstrennstreifen das Überholen von Radfahrern nicht mehr möglich: Der Überholabstand kann wegen des begrünten Mittelstreifens nicht eingehalten werden.
Dorstener Straße: Radfahrer Überholen verboten
Aus demselben Grund ist das Überholen von Radfahrern auf der Dorstener Straße schon jetzt – ganz ohne Sicherheitstrennstreifen – zwischen Kortländer und A40 fast durchgehend nicht erlaubt.
Die Berufskraftfahrer der Bogestra in Bussen und Straßenbahnen wollen davon offensichtlich nichts wissen.
Tempo 30 schützt nicht vor Dooring-Unfällen.
Die Unfallforschung der Versicherer hat nachgewiesen, das Radfahrer schon bei niedrigen Geschwindigkeiten einer plötzlich geöffneten Autotür nicht mehr ausweichen können. Bei modernen Autos ist zudem von hinten seitlich oft gar nicht mehr erkennbar, ob jemand im Auto sitzt. Das verkürzt die mögliche Reaktionszeit auf Null.
Es wird deutlich, dass, unter der Annahme einer Reaktionszeit von einer Sekunde für das Erkennen der Gefahr (hier die sich öffnende Fahrertür) und einer Verzögerung von 3 m/s2 , ein 20 km/h
UDV (2) S. 16
schneller Radfahrer mindestens 11 m von der Tür entfernt sein müsste, um den Unfall gerade noch zu vermeiden. In einer Entfernung von 6 m von der Tür hingegen (also etwa drei bis vier Meter vom Heck des Fahrzeugs entfernt) hätte der Radfahrer keine Chance mehr, Geschwindigkeit abzubauen und würde nahezu ungebremst gegen die Tür prallen.
»Für Radfahrer ist der Ausstieg einer Person aus einem Fahrzeug nie frühzeitig erkennbar.« (UDV (1) S. 153)
»An Stellen mit einem Radfahrstreifen neben einer vielbefahrenen Fahrbahn blieben Radfahrer teilweise abrupt stehen bzw. mussten sehr stark bremsen, als die Fahrzeugtür geöffnet wurde. Ein Ausweichen war aufgrund des Verkehrsaufkommens auf der Fahrbahn nicht möglich.« (UDV (1) S. 153)
Solche Situationen führen gerade bei älteren Radfahrern, Kindern (ab 10 Jahre) und unsicheren Radfahrer*innen zu Stürzen mit wiederum schweren Verletzungen beim Aufprall auf die Fahrbahn.
Tempo-30-Zonen
In Tempo-30-Zonen geht es auf der Fahrbahn oft besonders eng zu, weil auf schmalen Fahrbahnen oft ungeordnet beidseitig geparkt wird. Wenn man auch nur mit minimalen Abständen rechnet, müsste im Begegnungsfall von Fahrrad und Auto die Fahrbahn mindestens 8,8 m breit sein.
Drei Autos (2,10m), ein Fahrrad (1,0 m) und drei mal Abstand (0,5 m) dazwischen:
2,10 m + 0,50 m + 2,10 m + 0,5 m + 1,0 m + 0,5 m + 2,10 m = 8,8 m.
Mit vernünftigen Abständen kommt man auf 10 Meter Fahrbahnbreite.
Straßen in Tempo-30-Zonen haben in der Regel aber nur Fahrbahnbreiten von 6,5 m bis 7,5 m Breite.
Das reicht nicht. Nur einseitiges Parken ist mit Radverkehr verträglich.
Nach den geltenden Regeln müsste die Stadt Bochum das beidseitige Parken in all diesen Straßen umgehend beenden. Wie lange wird das dauern?
Literatur:
Unfallforschung der Versicherer (UDV):
Forschungsbericht Nr. 66, Unfallrisiko Parken für schwächere Verkehrsteilnehmer (295 S., 2020)
Pkw Heck- und Seitenkollisionen mit Fußgängern und Radfahrern. Unfallforschung kompakt. (20 S., 2017) https://www.udv.de/resource/blob/79194/7d478d2e7ff20210dcd1d746a619a1d3/66-unfallrisiko-parken-fuer-schwaechere-verkehrsteilnehmer-data.pdf
https://www.udv.de/resource/blob/74848/dd1f8fe7b1bb921c6e38ede61967c8ba/71-pkw-heck-und-seitenkollisionen-mit-fg-und-rf-data.pdf
Zum Urteil des LG Köln (Az. 5 O 372/20):
https://rechtskontor49.de/kein-mitverschulden-radfahrender-bei-dooring-unfaellen-fahrrad-recht-und-anwalt/
FGSV E-Klima Steckbriefe September 2023:
https://www.fgsv-verlag.de/e-klima-2022-steckbriefe