Bild: Mark 51°7 / Wittener Straße: RiM in Reinkultur mit langem Verflechtungsbereich. Keine Radverkehrsführung für Links- und Rechtsabbieger .
»RiM« steht für »Radfahrstreifen in Mittellage«
Gemeint ist damit, dass ein Radfahrstreifen zwischen zwei Fahrstreifen mit Kfz-Verkehr geführt wird. Das kommt fast ausschließlich in Kreuzungsbereichen vor.
Theoretisch kann ein RiM auch zwischen einer Linksabbiegespur und einer Geradeausspur liegen, aber in der Regel geht um um Radfahrstreifen neben Rechtsabbiegespuren. Die Rechtsabbiegespur kann dann selbst wieder einen Radfahrstreifen haben oder auch nicht.
Grundsätze
- Alles fängt an mit : »Speed kills«. Das ist die grundlegende Aussage überhaupt.
- Beim Abbiegen entstehen notwendigerweise Konflikte, weil sich die Fahrlinien von zwei Fahrzeugen kreuzen.
- Erstes Grundprinzip: Die Problemlast muss beim Verursacher bleiben. Wer abbiegt, hat die Verantwortung.
- Zweites Grundprinzip: Einfach geradeaus fahren. Wer geradeaus fährt, darf nie zu einem Spurwechsel gezwungen werden.
- Das Grundrezept: Geschwindigkeit reduzieren. Wenn Kfz nicht schneller fahren als Fahrräder, ist das Problem wesentlich kleiner.
- Genau darauf beruht der Sicherheitsvorteil von Kreisverkehren: Langsamer fahren und kein Linksabbiegen.
Die Alternativen zu Radfahrstreifen in Mittellage sind bauliche Radwege entlang der Gehwege. Aber die lösen das Problem auch nicht, schaffen aber neue.
Geradeaus führende Radfahrstreifen können auch in Randlage rechts neben der Rechtsabbiegespur liegen. Das ist in Bochum häufig, funktioniert aber nur mit separaten Grünphasen und verlagert das Problem gegebenenfalls auf die gegenüberliegende Kreuzungsseite.
Eine Kreuzung mit RiM kann Ampeln – offiziell Lichtsignalanlagen (LSA) genannt – haben oder auch nicht.
Ein Spezialfall von RiM entsteht bei »schleifenden« Ein- und Ausfahrten, die mit Radverkehr prinzipiell nicht verträglich sind. Grundregel: Je länger der RiM, desto schlechter. Die Länge wird aber durch die Länge des parallelen Rechtsabbiegestreifens vorgegeben.
Unterbrochene Linien links und rechts am RiM gibt es nur im Verflechtungsbereich, wo nach rechts abbiegende Kfz den Radfahrstreifen queren. Dieser Verflechtungsbereich sollte so kurz wie möglich sein. Das führt in Verbindung mit entsprechenden Abbiegeradien wirksam zu niedrigeren Kfz-Geschwindigkeiten. Lkw dürfen hier sowieso nur mit Schrittgeschwindigkeit abbiegen.
Davor und danach kann der RiM durch Trennelemente abgesichert werden oder auch – als Protected Bike Lane – beidseits Barrieren haben.
»RiM« versus »CBL«
»RiM« könnten auch bauliche Radwege oder Radfahrstreifen in der Mitte der Fahrbahn sein, also zwischen Fahrstreifen für entgegengesetzte Richtungen. Meist sind das dann auch Zwei-Richtungs-Radwege. Der englische Begriff dafür ist »Central (oder Center) Bike Lane (CBL)«. Diese Form von Radwegen ist in Deutschland nicht üblich. Anders ist das z.B. in Frankreich oder auch in den USA. Diese Radwege in Straßenmitte haben in der Regel beidseitig Barrieren gegen den Kfz-Verkehr.
Sobald Sie auf der CBL sind, ist es einfach, fühlt sich sicher an und ist schnell. An Kreuzungen und Einmündungen entstehen dann Probleme der besonderen Art. Die sichere Gestaltung der Kreuzungen ist aber entscheidend. Unter anderem daran ist die Idee einer »Central Bike Lane« auf der Königsallee gescheitert.
Vergleichbar wäre aber z.B. der Radweg auf dem Wallring in Münster.
RiM kommen fast nur auf Hauptverkehrsstraßen mit mehreren Fahrstreifen pro Richtung und/oder separaten Rechts- und Linksabbiegespuren vor. Kreuzungen mit RiM sind also in der Regel Kreuzungen mit hoher Kfz-Verkehrsbelastung, die für den Radverkehr immer problematisch sind, solange der Radverkehr niveaugleich (in derselben Ebene) mit dem Kfz-Verkehrs geführt wird. Eine niveaufreie Führung des Radverkehrs – zum Beispiel durch einen Kreisverkehr für Radfahrer oberhalb oder unterhalb der Kfz-Fahrbahnen – ist aber in der Regel nur außerhalb geschlossener Ortschaften möglich.
Der Konflikt zwischen geradeaus fahrenden Radfahrern und rechts abbiegenden Kfz bleibt – auch ohne RiM. Auf Hauptverkehrsstraßen innerhalb geschlossener Ortschaften ist eine subjektiv und objektiv sichere und zudem leicht, ungehindert und bequem befahrbare Radverkehrsführung generell schwierig.
Auch Ampeln (LSA) lösen das Problem nur zum Teil. Denn Radfahrer sollen weder mehr Stopps noch längere Rotphasen haben als der Kfz-Verkehr. Wenn aber der Radverkehr gleichberechtigt mit dem Kfz-Verkehr behandelt wird, sinkt wahrscheinlich die Leistungsfähigkeit der Kreuzung für den Kfz-Verkehr.
Die meisten Kreuzungen sind primär auf maximale Leistungsfähigkeit für den Kfz-Verkehr ausgelegt. Dabei wird die Sicherheit des Fußgänger- und Radverkehrs in der Regel durch Diskriminierung »optimiert«: lange, verwinkelte, umwegige, durch Fahrbahnteiler zusätzlich unterteilte Wege mit langen Wartezeiten an mehreren roten Ampeln, während der Kfz-Verkehr in einem Zug geradeaus durch die Kreuzung rauscht.
Verschärft wird das Problem durch freie Rechtsabbiegespuren ganz ohne Lichtsignale oder mit »bedingt verträglicher« Signalisierung, die den eigentlich einfach geradeaus fahrenden Radfahrern die Vorfahrt nehmen und sie durch die Maximierung der Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs zusätzlich gefährden.
Den Radfahrern wird gleichzeitig gern eine »Bettelampel« angeboten: Grün für geradeaus fahrende Radfahrer nur nach Knopfdruck und geduldigem Warten.
Diese Situation entsteht in der Regel nur auf baulichen Radwegen in Randlage oder wenn ein Radfahrstreifen rechts neben der Rechtsabbiegespur angelegt ist.
Bei RiM fahren Autos und Fahrräder parallel einfach geradeaus über die Kreuzung. In großflächigen Kreuzungen wird aber die Grünphase für den Radverkehr oft verkürzt, um die gegebenenfalls längere Räumzeit des Radverkehrs auszugleichen.
Der prinzipielle Vorteil von RiM gegenüber baulichen Radwegen an solchen Kreuzungen ist, dass hier der Radverkehr seine Vorfahrt gegenüber abbiegenden Kfz behält. Auf baulichen Radwegen wird dem Radverkehr die Vorfahrt genommen und es kann sein, dass ein Radfahrer vier mal an einer roten Ampel halten und warten muss, um geradeaus über eine Kreuzung zu fahren. Das führt dann zu nachvollziehbaren Akzeptanzproblemen. Aber wer bei Rot fährt, ist trotzdem schuld. Autofahrern passiert wo etwas nie. Die Verantwortung wird vom Problemverursacher (Auto) zum Leidtragenden (Radfahrer) verlagert.
In Bochum kann man für alle Varianten und Probleme Beispiele finden. Die verkehrsreichsten Kreuzungen sind völlig uneinheitlich gestaltet. Besonders lehrreich sind die Kreuzungen von Radialstraßen mit Autobahnen. Bochum hat acht Radialstraßen und drei Autobahnen (A40, A43 und A448).
Sind bauliche Radwege sicherer als Radfahrstreifen in Mittellage?
Der Artikel zu RiM in der deutschen Wikipedia suggeriert das und führt Beispiel aus Berlin, Hamburg, Hannover, Karlsruhe und München an.
»Radfahrstreifen in Mittellage werden in der Schweiz und in Deutschland seit den 1990er Jahren eingerichtet. Sie stehen in jüngerer Zeit unter deutschen Radaktivisten und Radverkehrsverbänden in der Kritik.« (Wikipedia). Die ERA 2010 sehen dagegen RiM als Regellösung vor:
Sind Rechtsabbiegestreifen in der Knotenpunktzufahrt vorhanden, werden die Radfahrstreifen für den geradeaus fahrenden Radverkehr links davon angelegt. Auf der Strecke vorhandene Radfahrstreifen sind in der Knotenpunktzufahrt in der Hauptfahrtrichtung (in der Regel geradeaus) durchzuführen.
Häufig sprechen Sicherheitsaspekte dafür, im Streckenbereich vorhandene baulich angelegte Radwege an Knotenpunkten in einen Radfahrstreifen zu überführen, um die Sichtbarkeit gegenüber rechts abbiegenden Kraftfahrzeugen zu erhöhen. Der Radweg soll geradlinig in den Radfahrstreifen oder Schutzstreifen übergehen.
(ERA 2010, S. 48, 50)
Tatsächlich ist »die Entschärfung des Konflikts zwischen geradeaus fahrendem Radverkehr und rechts abbiegenden Kraftfahrzeugen« der entscheidende Punkt. »Hierbei liegt vielfach eine Vorrangmissachtung des abbiegenden Kraftfahrzeugverkehrs vor.« Nicht umsonst umfasst das Kapitel 4 »Radverkehrsführung an Knotenpunkten« in den ERA 2020 nicht weniger als zwanzig Seiten komprimierter Information.
Die wichtigsten Grundsätze der ERA 2010 zu Kreuzungen an innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen:
Die Ansprüche des Radverkehrs an eine sichere und attraktive signaltechnische Einbindung dürfen gegenüber den Anforderungen des Kraftfahrzeugverkehrs nicht vernachlässigt werden. Die Qualität des Verkehrsablaufes ist beim Radverkehr z. B. durch die Vermeidung von Zwischenhalten zu verbessern.
Durch längere Wartezeiten können vermehrt Rotlichtmissachtungen auftreten.
Der Radverkehr soll alle signalisierten Furten einer zu kreuzenden Straße ohne Zwischenhalt überqueren können.
Der Radverkehr soll innerorts bei der Überquerung von frei fließenden Rechtsabbiegern Vorrang erhalten, was durch eine direkte Führung im Zuge der Vorfahrtrichtung zu verdeutlichen ist.
Fährt der Radverkehr vor dem Knotenpunkt im Mischverkehr auf der Fahrbahn oder auf Radfahrstreifen, so wird der geradeaus fahrende Radverkehr grundsätzlich auf oder neben den Fahrstreifen des geradeaus fahrenden Kraftfahrzeugverkehrs über den Beginn bzw. das Ende nicht signalisierter Rechtsabbiegefahrbahnen geführt.
Die ERA 2010 empfehlen weiter:
- Herstellen und Freihalten guter Sichtbeziehungen zwischen dem Radverkehr und dem Kraftfahrzeugverkehr
- Einfärben der Radverkehrsfurten
- Drei Meter vorgezogene Haltelinien für den Radverkehr
- Geringere Geschwindigkeiten der abbiegenden Kraftfahrzeuge durch enge Abbiegeradien
- Zeitvorsprung für die Freigabezeiten des Radverkehrs
- Auch auf baulichen Radwegen soll der geradeaus fahrende Radverkehr fahrbahnnah geführt werden.
- Bei einmündenden oder kreuzenden Straßen mit Fahrbahnteilern soll die Radverkehrsfurt davor verlaufen.
Die Studie »Einsatzbereiche von Radfahrstreifen in Mittellage« der TU Berlin (2019) kam zu dem Ergebnis:
Werden RiM mit Regelbreite und ausreichend lang markiert, haben sie das Potential für eine positive Wirkung auf die Radverkehrssicherheit.
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) kam zu dem Ergebnis:
Abgesetzte Furten verschlechtern insgesamt die Möglichkeit Radfahrende durch LKW-Führende rechtzeitig zu erkennen und hebeln zudem die Wirkung von Abbiegeassistenten aus.
Ein wesentliches und unstrittiges Merkmal von sicheren Kreuzungen mit Lichtsignalanlagen ist die signaltechnische Trennung abbiegender Verkehre. Wenn Abbiegeverkehr und Fuß- und Radverkehr nicht mehr gemeinsam signalisiert sind, kann ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet werden. Das ist auch die Regellösung in den Niederlanden.Eine differenzierte und sorgfältige Betrachtung der Risiken und des Nutzens von baulichen Radwegen im Vergleich zu Radfahrstreifen findet sich hier. Ein wichtiger Merksatz »Radwege und Radspuren stammen aus völligen unterschiedlichen Epochen« (Matthias Hueber, 2016):
Spezielle zusätzliche Elemente
Veloweichen für Rechtsabbieger und Fahrradschleusen für Linksabbieger. Beides gibt es je einmal in Bochum: Universitätsstraße / Markstraße Richtung RUB und Steinring / Wittener Straße.
Mehr auf bovelo.de:
Die Veloweiche – sogar einmal in Bochum
Kosmetik am Monster
Einfach nur geradeaus fahren
Literatur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Radfahrstreifen_in_Mittellage
https://www.tu.berlin/strassenplanung/forschung/projekte/abgeschlossene-projekte-auswahl/einsatzbereiche-von-radfahrstreifen-in-mittellage
https://www.udv.de/udv/themen/kreuzungen-nach-niederlaendischem-vorbild-verschlechtert-sicht-fuer-lkw-81518
ERA 2010, Kapitel 4, S. 37-56
Die Verknüpfung zwischen den theoretischen Grundlagen der „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ und der realen Situation in Bochum zeigt deutlich, dass die Umsetzung besserer Lösungen dringend notwendig ist. Die reflektierte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen – einschließlich der politischen Rahmenbedingungen – macht diesen Beitrag lesenswert und trägt zur Verbesserung des Diskurses über die Radverkehrssicherheit bei.
Ich danke euch für eure sachliche und detaillierte Aufbereitung und hoffe, dass eure kritischen Beiträge Entscheidungsträger ermutigen, mutigere Schritte hin zu wirklich sicheren Radverkehrsanlagen zu gehen. Es ist inspirierend zu sehen, wie ihr den Fokus auf langfristige Lösungen legt und den Dialog über nachhaltige Mobilität fördert!