Städtebauliche Bemessung

Hauptstraße Langendreer mit Linie 310 nach dem Umbau

»Straßenraumgestaltung vom Rand aus«

Bild: Hauptstraße Langendreer mit Linie 310 nach dem Umbau 2013: Radfahren verboten. Viel zu enge Gehwege mit »Radfahrer frei«. Die Masten für Licht und Oberleitung stehen mitten auf dem Gehweg.

Die städtebauliche Bemessung ist ein Verfahren, das den notwendigen Abmessungen der befahrenen Flächen, das heißt Fahrbahnen, Sonderfahrstreifen des ÖPNV und Radverkehrsanlagen auf Fahrbahnniveau plausibel nachvollziehbare notwendige Abmessungen für die Seitenräume gegenüberstellt. Sie verfolgt das Ziel einer „Straßenraumgestaltung vom Rand aus“.

RASt 06, S. 21

Die städtebauliche und eben nicht nur autoverkehrsgerechte Planung von Straßen folgt dem Grundsatz »Straßen für alle«1. Die FGSV hat das Verfahren bereits 1996 eingeführt2.

Dabei sind Fußgänger und Radfahrer mit dem Kraftfahrzeugverkehr gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Sowohl für den Fußgängerverkehr als auch für den Radverkehr müssen die erforderlichen Flächen bereitgestellt werden.

Der Verkehrsraum für den Radverkehr kann prinzipiell je nach Verkehrsbelastung sowohl auf der Fahrbahn (Mischverkehr, Radfahrstreifen) als auch im Seitenraum (baulicher Radweg, getrennter oder gemeinsamer Rad- und Gehweg) eingeplant werden.

Unverzichtbar ist in beiden Fällen während der Entwurfsphase die direkte Auseinandersetzung mit der Örtlichkeit und dem Gesamtraum, die in der Regel nicht allein über die in der Zustandserfassung verwendeten Dokumentationsmedien erfolgen kann.

RASt 06, S. 22

Mit dem Deutschen Städtetag von 1960 wurde die Trennung der Verkehrsarten endgültig zum Paradigma. Mit der »Vollmotorisierung« wurde die »autogerechte Stadt« zum Leitbild. Der Automobilhersteller Lloyd sah sich schon 1957 als »Schrittmacher der Vollmotorisierung«3. Die Verkehrsfläche für motorisierte Verkehrsteilnehmer wurde überproportional gegenüber der anderer Verkehre vergrößert. Zum Ausgleich der massiven Priorisierung des Kfz-Verkehrs durch das Konzept der »autogerechten Stadt« in den Jahrzehnten nach 1960 fordert die FGSV mittlerweile die Priorisierung von Fuß- und Radverkehr gegenüber dem Autoverkehr.

Zur Erreichung von Klimaschutz- und Energieeinsparungszielen können attraktive Angebote für den Fuß- und Radverkehr sowie für den ÖPNV zu einer Änderung im Mobilitätsverhalten beitragen. Dazu ist es zweckmäßig, die Belange des Fußverkehrs, des Radverkehrs und des ÖPNV mit besonderer Priorität zu berücksichtigen, bzw. dann die Belange des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs nachrangig zu betrachten.

Ergänzende Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06, FGSV, Februar 2024

So sollen die immer noch bestehenden Defizite beim nicht motorisierten Verkehr ausgeglichen werden. Siehe: FGSV: Neue Hinweise zum Rad- und Fußverkehr. Das Ziel sind durchgehend regelkonforme, insbesondere sichere und möglichst attraktive, barrierefreie Netze für den Fuß- und Radverkehr.

Wie das funktionieren kann, hat Wolfgang Haller schon auf dem 1. Deutschen Fußverkehrskongress 2014 anschaulich dargestellt: Praktische Beispiele der Anwendung von Regelwerken für den Fußverkehr (Powerpoint, 37 Folien). Paradebeispiel ist wieder einmal Kassel (Folien 27-33).

Theoretisch verfolgt auch die Stadt Bochum spätestens seit 1999 dieses Ziel, man merkt nur nicht viel davon. Im Zweifelsfall entscheidet man hier immer noch zugunsten des fahrenden und auch des ruhenden Kfz-Verkehrs. Jeder neue Radweg entfacht eine ausufernde Diskussion um möglicherweise wegfallende Autostellplätze – als wäre die Straße Privateigentum der Autofahrer. Aber:

»Es gibt keinen Anspruch auf Parkflächen im öffentlichen Raum«

Exemplarisch für den Konflikt sind die Veloroute #1 und die Dorstener Straße.

Bei stark reduzierter Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs (»erweiterte Schrittgeschwindigkeit«, in der Schweiz maximal 20 km/h) kann sogar auf eine ausgewiesene Fahrbahn verzichtet werden: »Shared Space« oder »Begegnungszone«.

Begegnungszone 

Eine Begegnungszone ist eine Form der Verkehrsberuhigung, in der Fußgänger gegenüber Fahrzeugführern vortrittsberechtigt sind. Sie wurde ursprünglich in der Schweiz, inzwischen aber auch in anderen Ländern wie Belgien, Österreich, Frankreich und Luxemburg eingeführt. Sie zielt auf eine Steigerung der Straßenraumattraktivität und eine Erhöhung der Verkehrssicherheit ab, indem die Wohn- und Geschäftsnutzung gegenüber der Verkehrsfunktion stärker gewichtet und die Aufenthalts- und Verkehrsbedingungen für den langsamen Verkehr verbessert werden.
Die Einsatzbereiche sind vielfältig und umfassen hauptsächlich Bahnhofsvorplätze, Innenstadt- und Schulbereiche, Wohn- und zentrale Geschäftsquartiere sowie zentrale Plätze oder Kreuzungen mit hohem Fußgänger- und Fahrradverkehrsaufkommen. Der vielseitige Anwendungsbereich ist eine Innovation auf dem Gebiet der Verkehrsberuhigung und unterscheidet die Begegnungszone vom verkehrsberuhigten Bereich in Deutschland, der abweichende Verkehrsregeln aufweist und in der Anwendung auf Wohngebiete und Gebiete mit geringem Verkehrsaufkommen beschränkt ist.
(Wikipedia)

Fußgängerzonen sind dagegen kein Ersatz für fehlende Radwege.

  1. Straßen für alle: Analysen und Konzepte zum Stadtverkehr der Zukunft, Buch von Heiner Monheim und Rita Monheim-Dandorfer, 1990, 530 Seiten ↩︎
  2. Empfehlungen zur Straßenraumgestaltung innerhalb bebauter Gebiete (ESG), Köln 1996 ↩︎
  3. https://www.automobilia-lit.de/Prospekte—Kataloge/Automobil/K-bis-L/Lloyd/Lloyd-Motorisierte-Abendpost–Schrittmacher-der-Vollmotorisierung–1957-Automobilzeitschrift–2808-.html?language=de ↩︎

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