Bild: Herner Straße an der A40 – Tempo 30 aber mangelhafte Breite des Radfahrstreifens und kein Sicherheitstrennstreifen (Bild vom 11.09.2024)
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte am 29.03.2018 eine Klage gegen Bochum eingereicht. Insgesamt hatte die DUH 45 Städte in Deutschland im Visier, die alle den seit 2010 verbindlichen EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg /m³) »im Jahresmittel fortwährend erheblich überschritten« hatten. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinen Grundsatzurteilen vom 27. Februar 2018 das Jahr 2019 als letztmöglichen Zeitpunkt zur Einhaltung des EU-weit gültigen Jahresmittelwerts von 40 µg/m³ höchstrichterlich festgelegt.
Die Klage wurde am 11. und 12. Februar 2020 in Erörterungsterminen vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) verhandelt. Am 28. Februar 2020 wurde ein Vergleich zwischen der Stadt Bochum und der DUH rechtswirksam.
Die DUH hielt drei Maßnahmen in allen Städten für besonders vordringlich:
- Diesel-Fahrverbote für alle Fahrzeuge, die den Euro 6/VI Grenzwert auf der Straße überschreiten;
- Kurzfristige Nachrüstung aller ÖPNV-Busse auf Euro VI und
- Die schnelle Umstellung der Taxiflotten auf Umwelttaxis mit Erdgas, Benzin-Hybrid oder Elektroantrieb
Basis der Klage waren die Messwerte an den in Bochum vorhandenen zwei Messpunkten:
An der Herner Straße vor Hausnummer 385 in Riemke und an der Dostener Straße vor Hausnummer 165 in Hamme.
Im Oktober 2020 sind – wie im Vergleich vereinbart – zwei Messpunkte an der Herner Straße 226 sowie an der Dorstener Straße 229 dazu gekommen.
An der Herner Straße lag der Stickoxidwert lange Zeit mit 51 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt deutlich über dem gesetzlichen erlaubten Grenzwert von 40 Mikrogramm.
An der Dorstener Straße wurde der Grenzwert nicht überschritten.

Die Statistik zeigt, dass die Messwerte an der Herner Straße 385 seit September 2019 kontinuierlich unter dem Grenzwert liegen – mit sinkender Tendenz. An der Herner Straße 226 wurde der Grenzwert noch nie überschritten. An der Dorstener Straße gab es überhaupt nur in zwei Monaten Grenzwertüberschreitungen: im September 2019 und Januar 2020.
Das Tempolimit von 30 km/h gilt an der Herner Straße seit dem 24.10.2020. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Grenzwert bereits seit einem Jahr eingehalten.
Der Effekt wäre also wohl auch auch ganz ohne irgendwelche Maßnahmen eingetreten, aber Corona hat ab Januar 2020 sicherlich ein bisschen geholfen.
An der Herner Straße sollte die Verkehrsmenge um 21 % reduziert werden. Das allein hätte rechnerisch schon den Stickoxidwert von 51 auf den erlaubten Grenzwert reduziert – erst recht in Verbindung mit dem im Vergleich gar nicht aufgeführten Durchfahrtverbot für Lastwagen. Zudem gibt es eigentlich gar kein Durchfahrtverbot für Lkw. Lediglich die Navigationssysteme sollen die Strecke nicht mehr für Lkw empfehlen.
Herner Straße als »Stadtstraße«?
Die Stadt Bochum hat aber trotzdem 2022 entschieden, dass es auf der Herner Straße in Bochum keine Rückkehr zu Tempo 50 gibt. Auch wenn die Stickoxid-Grenzwerte längst unterschritten werden.
Den eigentlichen Fehler aus Radfahrersicht – nämlich die vier Fahrstreifen zwischen A40 und A43 – will die Stadt nicht korrigieren. Diese Fahrstreifenverdoppelung ist aber der Grund für die zu schmalen Radfahrstreifen und ungenügenden Sicherheitstrennstreifen.
Die Herner Straße könnte, sollte und müsste gerade in Riemke eine »Stadtstraße« sein – wie die Wittener Straße in Laer.
Im März 2021 meldete das Umweltministerium NRW, dass 2020 in ganz NRW erstmals alle Luftqualitätswerte eingehalten wurden. 2020 habe zum ersten Mal auch der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (NO2) an allen 124 Messstandorten unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gelegen. Nach Auswertungen des Landesumweltamts (LANUV) sei dabei der Corona-Einfluss „erstaunlich gering gewesen“. Über das gesamte Jahr betrachtet habe der Corona-Lockdown eine Minderungswirkung von nur etwa einem Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft gehabt, sagte LANUV-Präsident Thomas Delschen.
Die DUH beschreibt das Maßnahmenpaket Bochum zusammenfassend so:
Auf der Herner Straße wird eine kontinuierliche Verkehrszählung eingerichtet und im Rahmen des Vergleichs die Verkehrsmenge um 21 % reduziert.
Die Parkraumbewirtschaftung wird räumlich und zeitlich ausgeweitet und kostenfreies Parken stark reduziert.
Die Einrichtung weiterer von der DUH benannter Messstellen soll sicherstellen, dass keine neuen bzw. bisher unbekannte Grenzwertüberschreitungen mit dem Dieselabgasgift NO2 bestehen.
Die Stadt Bochum wird sich bei der BOGESTRA für die Hardware-Nachrüstung aller technisch nachrüst- und förderbaren Busse auf Euro VI einsetzen.
Alle technisch nachrüst- und förderbare Kommunalfahrzeuge erhalten eine Hardware-Nachrüstung auf Euro VI.
Vom Radverkehr in Bochum war bis jetzt noch keine Rede. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand das drohende Diesel-Fahrverbot auf der Herner Straße.
Allerdings sind im Anhang zum Vergleich weitere Maßnahmen genannt, die teilweise auch den Radverkehr betreffen:
- Kooperation mit Fahrradverleihern
- Ausbau des Fahrradparkens und der intermodalen Verknüpfung
- Ausbau von Radvorrangrouten, Radwegen, Fahrradstraßen, Schutzstreifen etc. (siehe Anlage A)
- Maßnahmen im Bereich Öffentlicher Personennahverkehr
- Verkehrskonzepte in den Stadtteilen
Von Velorouten ist hier noch keine Rede.
Die Radverkehrsmaßnahmen von 2020
Interessant ist hier besonders die Anlage A zum Anhang. Hier werden die Vorhaben zugunsten des Radverkehrs aufgelistet:
- RS 1
Planung und Bau auf Bochumer Stadtgebiet. - Fahrradstraßen
Einrichtung wo möglich (2019: Ümminger See, Weitmarer Straße. 2020 bisher: Brockhauser Str.) - Markstraße
Anlage von Schutzstreifen (Universitäts- bis Semperstraße, ca. 360 Meter) und Radfahrstreifen (Universitäts- bis Stiepeler Straße, ca. 1.000 Meter und Hanielstraße bis Opelring, ca. 900 Meter (teils umgesetzt)). - Markstraße
Installation von Radverkehrsanlagen auf dem Abschnitt Semper- bis Haniel-straße, ca. 970 Meter - Bahnhofstraße
Installation von Radverkehrsanlagen entlang des Parks am Ehrenmal (im Rahmen des ISEK Wattenscheid), ca. 350 Meter. - Wegweisung
Verdichtung der wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr im gesamten Stadtgebiet. (Installation ab Ende Januar 2020, Fa. ist beauftragt) - Hattinger Straße
Umbau Haltestelle Bergmannsheil mit Installation von Radfahrstreifen (umge-setzt) - Hattinger Straße
Umbau zwischen Königsallee und An der Landwehr mit Installation von Rad-fahrstreifen im Jahr 2020-22 (insgesamt dann ca. 970 Meter) - Königsallee
Umgestaltung des Straßenraumes mit Anlage von durchgehenden Radfahrstreifen (Wohlfahrtstraße bis Hattinger Straße), ca. 1.800 Meter - Universitätsstraße
Alsenstraße bis Südring Installation von Radfahrstreifen (letzter Lückenschluss zur Innenstadt hin, ca. 500 Meter, umgesetzt) - Universitätsstraße, Auffahrt Uni-West (ca. Max-Imdahl- bis Laerholzstraße, 400 Meter)
Installation eines Zweirichtungsradweges sowohl zur Anbindung der Radfahrstreifen auf der Universitätsstraße (nur eine Richtung) als auch zur Erschließung der Wohnanlagen an der Laerholzstraße (beide Richtungen) - Springorumtrasse
Auf dem einzigen Teilstück ohne Beleuchtung zwischen Königsallee und Franziskusstraße soll eine Beleuchtung installiert werden (ca. 3.200 Meter). Förderantrag wurde im Jahr 2019 gestellt. - Engelsburger Straße
Schützenstraße bis Rampe Bahnbrücke Anlage von Radfahrstreifen beidseitig (ca. 670 Meter, fertiggestellt). - Alleestraße
Vollständige Umgestaltung zwischen Westring und Bessemerstraße einschließlich Radverkehrsanlagen (ca. 670 Meter ab 2022) - Castroper Straße
Vollständige Umgestaltung zwischen Schwanenmarkt und Quellenweg einschließlich Radverkehrsanlagen (ca.1.525 Meter, ab 2020) - Weitmarer Straße
Sanierung der Straße zwischen Knoopstraße und Durchfahrtssperre in Richtung Kohlenstraße als Fahrradstraße (ca. 200 Meter) - Nevelstraße/Schnatstraße
Sanierung und Verbreiterung der Fahrbahn, Herstellung als Fahrradstraße (Nevelstraße zwischen Generalstraße und Springorumtrasse, Schnatstraße im Bereich abseits der Bebauung) (ca. 560 Meter, in Bau) - Berliner Straße
Kreuzung mit Schlaraffia-/Burgstraße
Umbau der Gehwege zu Rad- und Gehwegen im Rahmen von Kanalbauarbeiten.
Anlage von Radfahrstreifen nach Süden bis Wattenscheider Hellweg (ca. 830 Meter).
Aufwertung Berliner Straße für Radverkehr als direkte Nord-Süd-Verbindung zwischen Gelsenkirchen und Hattingen bzw. der westlichen Bochumer Stadtteile.
Verlegung des Radwanderweges R25 (Bestandteil der Route der Industriekultur, Verbindung zwischen Kray-Wanner Bahn und Bochum-Dahlhausen) von Privatflächen hierher.
In Fahrtrichtung Norden wurde in einem ersten Schritt der Mehrzweckstreifen zwischen Wattenscheider Hellweg und Schlaraffiastraße im Jahr 2019 zum Radfahrstreifen umgestaltet. - Wasserstraße/Auf der Heide
Installation von Radfahrstreifen zwischen Universitätsstraße und Opelring (ca. 1.430 Meter) - Essener Straße
Installation und/oder Sanierung von Radverkehrsanlagen zwischen Stephanstraße und Erzstraße (ca. 2.240 Meter) - Wittener Straße
Neugestaltung einer Südumfahrung.
Die Wittener Straße lässt ohne den Wegfall eines Fahrstreifens je Richtung keine Installation von Radverkehrsanlagen zu. Als Alternative soll eine Route durch die südlich gelegenen Wohngebiete zur komfortabel befahrenen Radroute umgebaut werden (z. B. durch die Einrichtung von Fahrradstraßen) (insg. ca. 2.880 Meter, ab 2020) - RS1
Optimierung von Anschlüssen an das Stadtgebiet - Haushaltsmittel
Für die Haushaltsjahre 2020-2024 sollen 250.000 Euro (in 2020) bzw. jährlich 500.000 Euro (2021-2024) in den Haushalt aufgenommen werden.
Wenn man genauer hinsieht, ist das einfach eine Liste der Vorhaben, die Bochum sowieso auf dem Plan hatte oder bereits realisiert hatte.
Wie wenig der DUH-Vergleich mit der Radverkehrsförderung in Bochum zu tun hatte, sieht man insbesondere an drei Beispielen:
Wittener Straße:
»Die Wittener Straße lässt ohne den Wegfall eines Fahrstreifens je Richtung keine Installation von Radverkehrsanlagen zu.« Die Stadt Bochum verweigert hier – wie schon seit 1988 – die Installation von Radwegen auf der Wittener Straße.
Berliner Straße:
Die »Aufwertung Berliner Straße für Radverkehr als direkte Nord-Süd-Verbindung zwischen Gelsenkirchen und Hattingen« ist bis heute nicht umgesetzt. Eine »direkte Nord-Süd-Verbindung zwischen Gelsenkirchen und Hattingen« ist immer noch in weiter Ferne. Immerhin bekommt die neue Neveltalbrücke beidseitig Radwege, sonst wäre die Verbindung gar nicht möglich.
Essener Straße
»Installation und/oder Sanierung von Radverkehrsanlagen zwischen Stephanstraße und Erzstraße (ca. 2.240 Meter)«
Interessant ist, dass hier der Wattenscheider Hellweg noch gar nicht genannt wird. Die Strecke war aber mangels Alternativen schon im Pilotprojekt von 1988 eine Hauptroute des Alltagsverkehrs – trotz teilweise nicht vorhandener oder grauenhaft schlechter Radwege. Im Rahmen der ersten Bochum Rad-Verkehrsschau 2009 wurde angesichts zahlreicher Mängel und Gefahrenstellen dringender Handlungsbedarf festgestellt. Im Februar 2012 hatte der ADFC Bochum dazu eine Bürgeranregung eingereicht:
Die Alleestraße ist eine für den Fahrradverkehr unverzichtbare Hauptverbindung zwischen der Innenstadt, dem Westpark mit der Erzbahntrasse, dem Unterzentrum Goldhamme und dem Ortsteil Wattenscheid. Die hohe Verkehrsbelastung mit Straßenbahnen, Bussen, erheblichem motorisiertem Individualverkehr und Schwerlastverkehr macht durchgehende Radverkehrsanlagen in beiden Richtungen erforderlich.
Die vorhandene Situation entspricht dieser Anforderung in keiner Weise. Radverkehrsanlagen sind größtenteils nicht vorhanden. Die bestehenden Teilstücke von Radwegen oder Radfahrstreifen erfüllen nicht die Mindestanforderungen der StVO und sind nicht verkehrssicher. In den wichtigsten Kreuzungsbereichen mit dem Westring, der Wattenscheider Straße und der Kohlenstraße sind keine Radverkehrsführungen vorhanden. Aus der Stahlhauser Straße können Radfahrer nicht in Richtung Goldhamme oder Wattenscheider Straße fahren. Es ist nicht möglich, aus der südlichen Kohlenstraße nach links Richtung Goldhamme abzubiegen. Die Wattenscheider Straße ist für Radfahrer aus der südlichen Kohlenstraße nicht erreichbar. Der als benutzungspflichtig ausgewiesene Geh- und Radweg an der Kohlenstraße ist nicht verkehrssicher.
Die Neuplanung des Kreuzungsbereichs Alleestraße / Kohlenstraße / Wattenscheider Straße muss diese gravierenden Mängel beseitigen und sowohl sicheren als auch komfortablen Radverkehr in allen Wegebeziehungen ermöglichen. Der geplante Supermarkt südöstlich der Kreuzung muss für Radfahrer aus den umliegenden Wohngebieten leicht und sicher erreichbar sein – auch für Rad fahrende Kinder.
Im Bereich Goldhamme dürfen Parkmöglichkeiten für den motorisierten Individualverkehr nicht zu Lasten des Radverkehrs eingerichtet werden. Radfahrstreifen haben hier eindeutig Vorrang.Die Anregung nach § 24 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen:
Der Rat der Stadt Bochum beauftragt die Verwaltung mit der zeitnahen Planung von Radverkehrsanlagen nach den Standards der ERA 2010 – darüber hinaus ausgelegt für die Anforderungen von Pedelecs – im gesamten Verlauf der Straßen Alleestraße / Essener Straße / Wattenscheider Straße / Bochumer Straße / Hansastraße / Kohlenstraße unter Einschluss aller Kreuzungsbereiche und der Anbindung der Nebenstraßen. Zielhorizont für die Umsetzung ist die Fertigstellung des Westkreuzes.
https://bovelo.de/wp-content/uploads/2025/01/GO24-Alleestrasse-Wattenscheider-Kohlenstrasse-20120209.pdf
Wenn man sich – 37 Jahre nach dem Pilotprojekt, 16 Jahre nach der Rad-Verkehrsschau, 13 Jahre nach der Bürgeranregung des ADFC – die Situation ansieht, kann man nicht zufrieden sein: Von der Realisierung der Veloroute #11 nach dem Radverkehrskonzept von 2023 ist die Stadt Bochum weit entfernt. Zuletzt hat die Stadt Bochum sogar Mitte 2024 die Situation im Kreuzungsbereich Alleestraße / Kohlenstraße / Wattenscheider Straße und auch in der Ortsdurchfahrt Hamme deutlich verschlechtert.
Die Veloroute #11 beginnt aber am Radkreuz und endet an der Stadtgrenze zu Essen.
Die Klage der DUH hatte hier offensichtlich keine Wirkung.
Und die Herner Straße bleibt gefährlich:


Am 11.06.2019 gab es auf der Herner Straße in Höhe der Hausnummer 371 einen Dooring-Unfall mit LKW-Beteiligung: Dooring-Unfälle: Besser kein Radweg als ein schlechter.
Siehe WAZ: Bochumer Linke fordern für Herner Straße breitere Radwege