Velorouten – Von der Quadratur des Kreises

RVK Karte 21 Velorouten

Velorouten wurden, wie der Name verrät – in der Schweiz erfunden. Bochum hatte damit nichts am Hut.
Velorouten sollten einfach, schnell und billig ein Radverkehrsnetz herbeizaubern, dass für eine Verkehrswende dringend benötigt wurde.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat schon 1989 die wesentlichen Merkmale von Velorouten beschrieben:

Kennzeichnend für die konkrete Radverkehrsnetzplanung in der Schweiz ist ein sehr pragmatisches Vorgehen. Modellansätze für ideale Wunschliniennetze spielen nur ein relativ geringe Rolle. Da aus Platzgründen in den meist beengten Straßenräumen die Anlage separater Radverkehrsanlagen oft nicht in Frage kam, entstanden in vielen Städten die für die Schweiz typischen Veloroutenkonzepte.
Dabei wird angestrebt, attraktive Verbindungen für Radfahrer weitgehend abseits der Hauptverkehrsstraßen auszuweisen.
Unter Velorouten werden in diesem Sinne gekennzeichnete Routen verstanden, auf denen mit möglichst geringem Aufwand Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und zur Gewährleistung der durchgängigen Belahrbarkeit getroffen werden und die den Radfahrern zur Benutzung empfohlen sind.

Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs, Schriftenreihe Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr, Heft 74, Bundesanstalt für Straßenwesen, Köln 1989, S. 421.

Zürich begann bereits 1978 mit der Realisierung eines Veloroutennetzes, bei dem auf zwei Drittel der Streckenlänge keine baulichen Veränderungen notwendig waren. Ähnliche Konzepte verfolgten Basel und Bern.
Die Erfahrungen mit diesen Velorouten zeigten eins sehr deutlich:

Die hohe Umwegeempfindlichkeit der Radfahrer.

Viele nehmen lieber ein Sicherheitsrisiko bei der Benutzung von Hauptverkehrsstraßen in Kauf als umwegige Nebenstraßen zu befahren. Da auch Unfallanalysen aufzeigen, dass sich Radverkehrsunfälle nach wie vor auf den verkehrsreichen Straßen konzentrieren, ist mittlerweile in Städten wie Bern oder Basel eine Schwerpunktverlagerung der Maßnahmenumsetzung von den verkehrsarmen Straßen auf die Hauptverkehrsstraßen festzustellen. Zu sehr auf verkehrsarme Straßen konzentrierte Konzepte haben sich demnach als auf Dauer nicht praktikabel erwiesen.

BASt, s.o. Seite 421

Bochum macht 2025 das Gegenteil.

Auch Hamburg hat vor 35 Jahren ein Veloroutenkonzept beschlossen. Die Struktur des Hamburger Velorouten-Netztes ist auf dem Titelblatt des »Pilotprojekts Radwege- und Beschilderungsplan Bochum« von 1988 abgebildet: Radialen und Ringe.

Pilotprojekt 1988, Titelbild

Das Pilotprojekt sollte 1988 in Bochum genau dasselbe leisten wie ein Velorouten-Netz in der Schweiz: Einfach, schnell und billig ein Radverkehrsnetz herstellen.
Man kann also sagen, Bochum hatte schon 1988 ein Velorouten-Konzept auf dem Tisch liegen. Nur: Bochum wollte es nicht haben.
Die Bochumer Fahrradaktivisten am Ende der 1980er Jahre (insbesondere von ADFC und VCD) können ein Lied davon singen, wie stiefmütterlich Bochum das Pilotprojekt behandelt hat. Die Umsetzung – im Wesentlichen eine Beschilderung der Routen – wurde zögerlich und mit einem Haufen von Fehlern umgesetzt, so dass das Routennetz kaum funktionieren konnte.

Ein ungeliebtes Kind, ein Kuckuckskind

Noch im »Schwarzbuch 2008« – zwanzig Jahre nach dem Pilotprojekt – hat der ADFC Bochum gefordert:

Das Streckennetz des „Pilotprojekts Radwege- und Beschilderungsplan Bochum“ von 1990 wird erstmals [!] vollständig realisiert und korrekt beschildert.

ADFC Bochum, Schwarzbuch 2008, S. 20

Gedacht war das Pilotprojekt – zusammen mit anderen, ähnlichen Pilotprojekten – als Einstieg in die Gründung der AGFS NRW im Jahr 1993. Bochum hat sich verweigert und wurde erst 24 Jahre später – 2017 – widerstrebend Mitglied in der AGFS.

Erst nach 35 Jahren – im Radverkehrskonzept 2023 – kam dann das Konzept »Veloroute« in Bochum an – wiederum als fremde Idee. Hamburg hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon wieder von seinem Veloroutenkonzept verabschiedet. Weil es nicht umsetzbar war.

Kosten explodieren: Vorläufiges Aus für die Veloroute 8.

abendblatt.de (29.09.2023)

Der Bau einer zwei Kilometer langen Veloroute auf der Elbgaustraße ab dem Rugenbarg verschlingt 24 Millionen Euro.

ndr.de (02.08.2023) 

Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet die Stadt Hamburg an einem Velorouten-Netz: Zwölf gut ausgebaute und ausgeschilderte Pisten, die sternenförmig vom Rathausmarkt in die Vororte führen, dazu noch zwei Ringrouten als Querverbindung.
In der Praxis ist das Netz aber ein bis heute kaum erkennbarer bunter Flickenteppich: Hier und da gibt es ein paar erkennbar ausgebaute Abschnitte, auf denen es sich gut radeln lässt, dazwischen folgen aber immer wieder uralte Holperpisten oder manchmal sogar gar keine Radwege. Manche Fahrt endet so unvermittelt im Nirgendwo.

https://www.nahverkehrhamburg.de/hamburger-velorouten-netz-wird-kleiner-aus-diesem-grund-197484/ (15.02.2023)

Zukünftig sollen Radrouten, die wichtigsten und attraktivsten Radverbindungen der Stadt, heutige Velorouten ablösen.

https://www.hamburg.de/ (2023)

Schaut man aktuell auf das in 35 Jahren fertiggestellte »Radnetz Hamburg«, sieht man einen großen Flickenteppich:

https://www.hamburg.de/verkehr/fahrradfahren-in-hamburg/mit-dem-fahrrad-durch-hamburg

Die Velorouten im Radverkehrskonzept Bochum 2023

Bochum hat die Messlatte für Velorouten im RVK aus freien Stücken so hoch gehängt wie irgend möglich:

  • Reisegeschwindigkeit 20-25 km/h – wie auf Radschnellwegen
  • Kurze Reisezeiten ohne Umwege – wie auf Radschnellwegen
  • Vorrang vor dem Kfz-Verkehr – wie auf Radschnellwegen
  • Radfahrende sollen »entspannt nebeneinander« fahren können – wie auf Radschnellwegen
  • Kaum Wartezeiten an den Kreuzungen – wie auf Radschnellwegen
  • Trennung vom Fußgängerverkehr – wie auf Radschnellwegen

Vgl. RVK Seiten 77-81.

Und das alles will Bochum auf Straßen und Wegen »abseits des Vorrangnetzes des Kfz-Verkehrs« erreichen. Also ohne Radwege auf z.B. Radialstraßen, Hellwegen und Innenring.
Die werden – quasi nebenbei – zum »Vorrangnetz des Kfz-Verkehrs« (RVK, S. 77) erklärt. Der »Vorbehalt« auf den Straßen des Vorbehaltsnetzes ist aber nur ein Vorbehalt gegenüber Tempo 30, nicht gegenüber Radfahrern und Fußgängern! Es handelt sich nicht um ein »Vorbehaltsnetz des Kfz-Verkehrs« (RVK, S. 74) und auch nicht um ein »Vorrangstraßennetz für den Kfz-Verkehr« (RVK, S. 84).
Steht der so gedachte Ausbau von Velorouten wirklich in keiner Konkurrenz zum Ausbau von Radverkehrsinfrastruktur entlang der Hauptverkehrsstraßen?

Die Anforderungen an die Hauptrouten des Radverkehrsnetzes sind dagegen laut RVK viel niedriger:
Eine Reisegeschwindigkeit von 16 km/h soll hier ausreichen – genau wie auf den Nebenrouten!

Die »Reisegeschwindigkeit« ist definiert als die tatsächliche Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen Start- und Zielpunkt, inklusive aller Wartezeiten (Kreuzungen, Ampeln, Hindernisse), Steigungen und Störungen.
Wer also eine Reisegeschwindigkeit von 25 km/h erreichen will, muss auf freier Strecke deutlich schneller fahren.

Vier Velorouten in Bochum

Bochum plant und baut zurzeit vier Velorouten. Und diese vier Velorouten zeigen prototypisch die Grenzen und Mängel des Konzepts.

  • Die erste Veloroute: Radkreuz – Essen-Stele.
    Im RVK Veloroute 11, Politik und Verwaltung sprechen hier aber gar nicht von einer Veloroute. Nur die CDU nennt das Kind beim Namen.
  • Die zweite Veloroute: Radkreuz – Riemke Markt.
    Im RVK so gar nicht vorhanden, beim Tiefbauamt »Veloroute 1«, zusammengesetzt aus den Velorouten 1 und 13.
  • Die dritte Veloroute: WAT (RS1) – RUB.
    Im RVK Veloroute 8, beim Tiefbauamt verändert als »Veloroute 3«.
  • Die vierte Veloroute: Radkreuz – Langendreer Dorf.
    Im RVK Nummer 3, beim Tiefbauamt »Veloroute 2«

Ich werde hier die Nummerierung aus dem RVK beibehalten und von den Velorouten #11, #1, #8 und #3 sprechen (Vgl. RVK Karte 21, Seite 78). Die Priorisierung der Velorouten #3, #8 und #13 wurde in dem »Priorisierten Maßnahmenkatalog« zum Radverkehrskonzept festgeschrieben. Festgeschrieben wurde dort aber auch die Veloroute #4 (RUB – Langendreer), von der momentan keine Rede ist. Die Veloroute #11 kommt in dem Maßnahmenkatalog gar nicht vor.

Das vielsagende Verschweigen der Veloroute #11

Die Veloroute #8 verläuft im Gegensatz zu allen anderen Velorouten ringförmig als Viertelkreis im Außenbereich der Stadt. Und die Veloroute #11 hat auch eine Besonderheit: Sie verläuft vollständig auf Hauptverkehrsstraßen.

Die Verwaltung hat spätestens bei der Planung der Veloroute #1 auch bereits gemerkt, wo die Hauptprobleme der anderen Velorouten liegen:
Viele Kreuzungen, Umwege, zahlreiche bauliche und topografische Herausforderungen, fehlende intuitive Verbindungen, fehlende Gehwege, Konflikte mit Fußgängern, schmale Fahrbahnen und vor allem: Wegfall des jahrzehntelang gewohnten Parkens auf der Fahrbahn.

Beispiel für eine Veloroute
Beispiel für eine Veloroute im RVK (Abb. 73, Seite 84): Um so eine Veloroute zu realisieren, müsste die Straße (Mit Gehwegen, Begrünung und Kfz-Parkstreifen) mindestens 22 Meter breit sein – breiter als manche Hauptverkehrsstraße in Bochum.

Alle diese Probleme konnte man schon seit 1990 auf der »Alltagsroute« des Pilotprojekts zwischen Innenstadt und Riemke hautnah erfahren. Nur lag damals die Messlatte erheblich tiefer und die Herner Straße hatte gar keine Radwege. Gegen die Radwege auf der Herner Straße hat sich diese Strecke nie durchgesetzt. Und den Autoparteien in Bochum ist es in über 35 Jahren nie gelungen, eine überzeugende Alternative zur Herner Straße zu präsentieren.

Wenn es geeignete Strecken für radiale Velorouten gäbe, wären sie nach 65 Jahren Autostadt Bochum längst selbst Hauptverkehrsstraßen.

Im RVK hat Bochum die Velorouten so hoch gehängt, wie nur möglich: Sie sollen die Funktion von innerstädtischen Radschnellwegen haben, ohne Radschnellwege zu sein. Schon das ist die Quadratur des Kreises. Die Velorouten sollen »abseits der Hauptverkehrsstraßen« verlaufen und zugleich Reisegeschwindigkeiten wie Radschnellwege ermöglichen.
Das Konzept ist so widersprüchlich wie die Namensgebung der Routen.

Das Pilotprojekt von 1988 war da realistischer: Die Routen sollten »durch Wegweisung kurzfristig [!] ein Netz durchgängiger Radverkehrsverbindungen anbieten« und die Bedingungen für den Fahrradverkehr »mit geringem Einsatz von Finanzmitteln spürbar verbessern«. Flankiert von »einem Bündel von teilweise kostengünstigen Maßnahmen zum Abbau von Behinderungen für den Radverkehr«. (Christoph Zöpel, S. 5). Es ging um »kostengünstige Sofortmaßnahmen« für den Alltagsverkehr mit dem Fahrrad. Ziel war »ein schnell vernetzbares Angebot an radverkehrstauglichen Straßen- und Wegeverbindungen abseits der Hauptverkehrsstraßen«, dabei aber »umwegfrei und sicher« (S. 7). Von hohen Reisegeschwindigkeiten war keine Rede. Die hohe Geschwindigkeit bezog sich auf die Umsetzung. Das Routennetz sollte Teil eines übergreifenden regionalen Netzes werden. Gedacht war primär an innerstädtische Wege bis zu 5 km Länge. Die RUB wurde mitgedacht: »Im Jahresmittel fuhren 1982 in Bochum weniger als 5 % der Studenten mit dem Fahrrad zur Universität«. Im Bundesdurchschnitt waren es 22 %. Sehr passend für die selbsternannte »Autostadt Bochum« mit der »Autouniversität« RUB.

Das Pilotprojekt 1988 kam zu dem Schluss:

Das Radwegeangebot der Stadt Bochum besteht fast nur aus Fragmenten.

Pilotprojekt Seite 15

Die geradlinigsten, kürzesten und gleichzeitig schnellsten Verbindungsstrecken des Alltagsverkehrs führen über die strahlenförmig vom Stadtzentrum abzweigenden Hauptausfallstraßen.
Langfristig ist daher ein Ausbau der Hauptausfallstraßen anzustreben, der das Sicherheitsbedürfnis des Radverkehrs angemessen berücksichtigt.

Pilotprojekt Seite 16

37 Jahre später will Bochum die Lösung immer noch abseits der Hauptverkehrsstraßen suchen, die folgerichtig ein »Kfz-Vorbehaltsnetz« bilden sollen.
Da kann auch nur eine Autostadt drauf kommen – und das im Jahr 2025. Der »Vorbehalt« im Vorbehaltsnetz ist ein Vorbehalt gegenüber Tempo-30, keinesfalls ein Vorbehalt gegen den Radverkehr zugunsten des Autoverkehrs.

Die Veloroute #8 – Vom RS1 zur RUB

Die Veloroute #8 ist fast die einzige im Veloroutenkonzept, die keine radiale Ausrichtung auf das Zentrum hat, sondern eine ringförmige Struktur. Sie bildet annähernd einen Viertelkreis von Nordosten (GE-Ückendorf) zur RUB im Süden. Hier eine einfache, umwegfreie Strecke ohne wesentliche Steigungen abseits der Hauptverkehrsstraßen zu finden ist fast unmöglich.

Nicht zufällig hat sich die Verwaltung bereits wieder von dem Routenvorschlag im RVK verabschiedet und eine Machbarkeitsstudie zur Routenfindung bei NRW.URBAN (Tochtergesellschaft für Stadtentwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen) in Auftrag gegeben.

Ich wette, niemand wird für die Veloroute #8 eine Strecke abseits der Hauptverkehrsstraßen finden, die die Anforderungen des RVK erfüllt und bis 2030 machbar ist (finanziell und zeitlich).

Aber es gibt eine Alternative: Die Nord-Süd-Route zwischen Gelsenkirchen und Hattingen über Berliner Straße, Zeppelindamm und Munscheider Damm. Die Neveltalbrücke wird gerade neu gebaut – mit Radwegen. So kann man drei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Drei Varianten für die Veloroute #8

Startpunkt ist der RS1.
Rot: In der Mitte die Veloroute #8 im RVK.
Blau: Angelehnt an die A448 (Außenring)
Violett: Über den Zeppelindamm.

Das Hauptproblem ist bei allen Strecken die Querung des Neveltals bzw. Marbachtals. Der Scheitelpunkt liegt an der Ecke Wasserstraße/Hattinger Straße.
Die einfachste, geradlinigste Strecke führt über den Zeppelindamm.

Wenn man die aktuellen Velorouten der Stadt Bochum vergleicht, fällt sofort ins Auge:
Die Veloroute #11 liegt zu 100 % auf Hauptverkehrsstraßen. Redet das offizielle Bochum deshalb nicht über die Veloroute #11?
Die logische Fortsetzung dieser Route ist ebenfalls einfach: die Wittener Straße.
Veloroute #11, Radkreuz und Wittener Straße bilden eine geradlinige West-Ost-Achse von Essen Steele nach Langendreer – mit Anschluss an Dortmund, Castrop-Rauxel und Witten.

Die Velorouten #1, #11 und #8 zeigen eine einfache Strategie

Bochum könnte eine simple, effektive und billige Strategie verfolgen: Die vierstreifigen Straßen auf zwei Kfz-Fahrstreifen reduzieren und auf der freigewordenen Fläche Radfahrstreifen anlegen, gerne auch als Protected Bike Lanes.
Wo hat Bochum das vorgemacht? Zum Beispiel auf der Herner Straße, dem Werner Hellweg, der Essener Straße, dem Wattenscheider Hellweg, der Hattinger Straße, der Hauptstraße (Lgdr.) und der Wittener Straße.

Geht doch!

Ein Tipp: Die Stadt Bochum sollte das Pilotprojekt von 1988 genau studieren, bevor sie über Velorouten redet.

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