Das Tiefbauamt hat der Politik mitgeteilt1 , dass von Anfang März bis Mitte April ein Verkehrsversuch auf der Oskar-Hoffmann-Straße zwischen Universitätsstraße und Steinring stattfinden soll.
Dazu soll der Straßenabschnitt temporär in eine Einbahnstraße umgewandelt werden. Freie Fahrt gibt es nur noch in Richtung Steinring.
Hintergrund sind Planungen zur Sanierung der Oskar-Hoffmann-Straße, die die Stadt Bochum schon seit 2012 vor sich her schiebt. Unter dem Asphalt liegt hier noch das alte Straßenpflaster, was unweigerlich zu erheblichen Schäden an der Fahrbahn führt. Diese Schäden waren schon 2012 offensichtlich.
Deshalb hatten Bochumer Bürger per Bürgeranregung bereits 2012 eine Sanierung beantragt. Das hat die Stadt Bochum abgelehnt:
Die Verwaltung befürwortet grundsätzlich die Anlage von Radverkehrsanlagen, wenn ausreichend Raum vorhanden ist. Den Anregungen zur Erstellung von zusätzlichem Verkehrsraum für den Radverkehr der Oskar-Hoffmann-Straße im Abschnitt von der Universitätsstraße bis zum Steinring kann aber aufgrund des vorhandenen Parkraumbedarfes nicht entsprochen werden.
Beschlussvorlagen Nr.: 20122177/20122194
Die Sanierung wurde abgelehnt, weil dann Radfahrstreifen hätten angelegt werden müssen:
Eine Förderung des Straßenausbaus mit Zuschussmitteln von Bund- und Land ist nur durch eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, z.B. durch Anlegen von Radfahrstreifen, möglich. Hierbei würden aber zum großen Teil die Parkmöglichkeiten am Straßenrand entfallen. Dieses ist in diesem Straßenabschnitt daher nicht sinnvoll.
Vorlage Nr.: 20120834
Jetzt, 13 Jahre später, ist nichts besser geworden, aber die Planungsziele sind immer noch dieselben:
Ziele für die Planung waren [d.h. sind] der Erhalt der Bäume, der Erhalt der Parkplätze und die Schließung der Lücke im Radverkehrsnetz.
Mitteilung der Verwaltung Nr.: 20250130
Der Radverkehr steht also erst an dritter Stelle, Bäume und Parkplätze haben Vorrang – wie schon 2012.
Die Regeln der FGSV sagen das Gegenteil:
Die Belange des ÖV, Rad- und Fußverkehrs sind generell gegenüber den Belangen des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs zu priorisieren.
Steckbriefe zu den E Klima 2022, September 2023.
Bochum hat also nicht die Absicht, sich an die geltenden Regeln zu halten.
Für den Verkehrsversuch wurden vorsorglich Abbruchkriterien formuliert, um einen sicheren Ablauf des Versuchs zu gewährleisten – wie schon an der Wittener Straße vorgeführt.
Vom Steinring aus soll für den motorisierten Verkehr die Zufahrt zur Düppelstraße weiterhin möglich bleiben.
»Schließung der Lücke im Radverkehrsnetz«
Auf jeden Fall geht es auch um die »Schließung der Lücke im Radverkehrsnetz.« Hattinger Straße, Oskar-Hoffmann-Straße (bis zur Universitätsstraße) und Steinring haben mittlerweile Radfahrstreifen, der Lohring folgt demnächst.
Bemerkenswert ist, dass die Beschreibung des Verkehrsversuchs keinerlei (!) Aussagen über die Radverkehrsführung enthält. Es bleibt also offen, ob und, wenn ja, wie der Radverkehr gegen die Einbahnstraße geführt werden soll: Ohne Markierungen, mit Schutzstreifen oder mit Radfahrstreifen.
Brückstraße kein Vorbild
Auf diesem Abschnitt gilt bereits jetzt Tempo 30. Für den Radverkehr geöffnete Einbahnstraßen in Tempo-30 Zonen haben in der Regel keine Schutzstreifen oder Radfahrstreifen. Eine Ausnahme ist die Brückstraße, wo teilweise ein Radfahrstreifen und teilweise ein baulicher Radweg angelegt wurde.
Richtig gut funktioniert das nicht – wegen der parkenden und suchenden Autos und der ein- und aussteigenden Fußgänger, die dann auch noch gerne auf dem Radweg herumstehen.
Nicht ohne Sicherheitstrennstreifen
In jedem Fall sind mindestens 0,75 m breite Sicherheitstrennstreifen zu den parkenden Kraftfahrzeugen auf beiden Seiten Pflicht. Dabei ist besonders zu beachten, dass in Einbahnstraßen das Parken auf der »falschen« Seite, also gegen die Fahrtrichtung erlaubt ist. Das verhindert beim Ausparken den Blickkontakt zu entgegenkommenden Radfahrern. Ein zusätzliches Risiko neben der allgegenwärtigen Dooring-Gefahr. Im geplanten Verkehrsversuch sind die linksseitigen Parkplätze nur erreichbar, wenn der Autoverkehr den Weg der Radfahrer kreuzt. Noch ein zusätzliches Risiko.
Einbahnstraße mit Protected Bike Lane?
Einzige Abhilfe wäre eine Protected Bike Lane mit Führung des Radverkehrs entlang der Bordsteinkante. Das braucht aber viel Platz:
Geschützte Radfahrstreifen sind idealerweise so breit wie eine Fahrspur für den Kfz-Verkehr und durch Trennelemente sowie eine markierte Schutzzone von den Fahr- und Parkspuren des Autoverkehrs getrennt. Rad- und Fußverkehr trennt eine Bordsteinkante. Damit wird Konflikten und Unfällen zwischen den Verkehrsteilnehmenden vorgebeugt, da verhindert wird, dass Autos auf dem Radfahrstreifen fahren, halten oder parken und Fußgänger Radwege mitbenutzen.
https://www.adfc.de/artikel/geschuetzte-radfahrstreifen Vgl. Positionspapier Geschützte Radfahrstreifen.2
Geht also auch nicht. Die Parkmöglichkeiten auf beiden Seiten der Straße sollen ja unbedingt erhalten bleiben.
Kein »gekipptes« Parken mehr

Von der Universitätsstraße aus rechts sind teilweise Senkrechtparkstände vorhanden, die größere Sicherheitsabstände erfordern. Der Platz könnte reichen. In den übrigen Bereichen ist »gekipptes« oder »aufgesetztes« Parken angeordnet, die Autos stehen also zur Hälfte auf dem Gehweg. Der ist aber gar nicht breit genug dafür.
Parkende Fahrzeuge müssen auch zum Gehweg ausreichende Sicherheitsräume haben – nicht zuletzt, weil Kinder bis zum achten Lebensjahr mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fahren müssen – und dort von Erwachsenen begleitet werden dürfen. Der Gehweg muss bis zur Bordsteinkante mindestens 2,75 m breit sein, dann stehen effektiv zwei Meter Gehweg zur Verfügung.3
»Berliner Gehwege«
Das kann auch jeder sehen: Die Gehwege an der Oskar-Hoffmann-Straße sind noch die »Berliner Gehwege« aus der Nachkriegszeit, wo die Gehbahn in der Mitte deutlich von dem Kleinpflaster der Sicherheitsbereiche links und rechts abgesetzt ist.
Was kann man auf 7,50 Metern unterbringen?
Die Fahrbahnbreite der Oskar-Hoffmann-Straße beträgt im Bereich des Verkehrsversuchs 7,50 Meter.
Da alle Bäume erhalten werden sollen, kann die Fahrbahn auch nicht einen Zentimeter breiter werden.
Variante 1: Mischverkehr mit Radverkehr in beiden Richtungen, mit Parkstreifen
1 | Fahrbahn | 2* 3,25 m |
1 | Parkstreifen | >= 2,10 m |
1 | Sicherheitstrennstreifen | >= 0,75 m |
Summe | 9,35 m |
Die Fahrbahn ist zu schmal. Es fehlen fast 2 Meter. Kein Platz zum Parken auf der Fahrbahn. Die Parkplätze fallen weg.
Variante 2: Einbahnstraße mit Radfahrstreifen in Gegenrichtung
1 | Fahrstreifen | 3,25 m |
1 | Radfahrstreifen | 2,00 m (2,50 m)4 |
1 | Parkstreifen | >= 2,10 m |
1 | Sicherheitstrennstreifen | >= 0,75 m |
Summe | 8,10 m (8,60 m) |
Die Fahrbahn ist zu schmal. Es fehlt etwa 1 Meter.
Überholen verboten!
Wenn der Radfahrstreifen gegen die Fahrtrichtung direkt angrenzend an den Fahrstreifen angeordnet wird, müssen zudem alle ein- und ausparkenden Kfz den Radfahrstreifen überqueren – gegen die Fahrtrichtung des Radverkehrs. Zudem gibt es Probleme beim Überholen von Radfahrern untereinander: Beim kleinsten Fehler geraten Radfahrer in den entgegenkommenden Kfz-Verkehr.
Außerdem bekommt der Radverkehr nur in Richtung Universitätsstraße einen Radfahrstreifen.
In Richtung Steinring gibt es Mischverkehr auf der Fahrbahn – ohne Überholmöglichkeit für den motorisierten Verkehr!
Zum Überholen eines Radfahrers müsste der Fahrstreifen mindestens so breit sein:
2,75 m (Lkw) plus 1,50 m (Überholabstand) plus 1,0 m (Radfahrer): zusammen 5,25 m.
Bleiben 2,25 m für den Radverkehr in Gegenrichtung.
Kein Platz zum Parken auf der Fahrbahn. Die Parkplätze fallen weg.
Variante 3: Keine Einbahnstraße, Schutzstreifen statt Radfahrstreifen:
Schutzstreifen 3,00 (mindestens 2*1,50)
Fahrbahn 4,50 (Zwei-Richtungs-Verkehr)
Summe 7,50
Die Fahrbahn ist zu schmal. Kein Platz zum Parken auf der Fahrbahn. Die Parkplätze fallen weg.
Variante 4: Einbahnstraße mit beidseitigen Radfahrstreifen ohne Parkstreifen:
Fahrstreifen 3,25 m
Radfahrstreifen 4,00 m (5,00 m)
Summe 7,25 m (8,25 m)
Die Fahrbahn ist zu schmal. Kein Platz zum Parken auf der Fahrbahn. Die Parkplätze fallen weg.
Wenn alle Parkmöglichkeiten erhalten bleiben sollen, gibt es keine Lösung, außer:
Variante 5: Fahrradstraße mit eingeschränkter Fahrbahnbreite
Fahrradstraße heißt: keine Radwege und Tempo 30 – aber das gilt auch jetzt schon.
Die einzige Möglichkeit mit freien Gehwegen und Parkstreifen auf der Fahrbahn:
Fahrbahn 4,65 m
Trennstreifen 0,75 m
Parkstreifen 2,10 m
Summe 7,50 m
Nicht vergessen: In diesem Abschnitt gilt ohnehin Tempo 30 – aus Lärmschutzgründen.
Durch eine Fahrradstraße würde sich daran nichts ändern.
Was sagt die FGSV?
Die FGSV sagt: Parken auf der Fahrbahn soll die Ausnahme sein.
Es empfiehlt sich, die Anzahl von Parkständen für den privaten Kfz-Verkehr im Straßenraum möglichst gering zu halten. … Vor der Anlage von Parkflächen im Straßenraum ist … zu prüfen, ob dieser vermieden und auf fußläufig erreichbare zusammenhängende Parkflächen oder Parkbauten verlagert werden kann. Wenn Parken von Kfz im Straßenraum erforderlich ist, ist es zweckmäßig, die Parkstände baulich anzulegen oder zu markieren und das Parken am Fahrbahnrand möglichst zu vermeiden. … Es wird jedoch empfohlen, die Anlage von Parkständen in zusammenhängenden Parkflächen oder Parkbauten/ Quartiersgaragen zu bevorzugen. Diese bieten sich auch zur effizienten Abwicklung von E-Ladevorgängen, Liefer- und Ladeverkehre sowie für Sharing-Angebote als Mobilitätsstationen oder für Depots an.
Ad-hoc-Arbeitspapier Ergänzende Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06, Januar 2024
Und: »Die in den RASt 06 und ERA, Ausgabe 2010 angegebenen Regelmaße für Radverkehrsführungen sind als Mindestwerte anzusehen und diese Anlagen sind möglichst breiter zu wählen.«
Wann hält Bochum sich endlich an die einfachsten Regeln?
P.S.: 2012 hat das Tiefbauamt mitgeteilt:
»Die Prüfung zur Errichtung des Kreisverkehres Oskar-Hoffmann-Straße/Steinring ist erfolgt und die Maßnahme wird mittelfristig umgesetzt.«
Wir sind im Jahr 2025. Was heißt »mittelfristig«?
Die Umgestaltung der Kreuzung Oskar-Hoffmann-Straße / Steinring in einen Kreisverkehr ist in der Beschlussvorlage 20110798 „Kreisverkehre in Bochum“ ausgiebig behandelt worden. Dieser Kreisverkehr ist mit 11 Bewertungspunkten in die Dringlichkeitsstufe 1 aufgenommen worden, für die eine Umsetzung in den nächsten 5 Jahren vorgesehen ist.
Beschlussvorlage der Verwaltung Nr.: 20122177
Das war im Dezember 2012. Seit 2017 sollte der Kreisverkehr also fertig sein.
Ins Bild passt auch, dass die Stadt Bochum bis heute keine durchgehende Radverkehrsverbindung von der Wittener Straße über die Düppelstraße und die Straße »Glockengarten« hergestellt hat und auch nicht herstellen will. Die geplante »Fahrradstraße« Glockengarten reicht nur von der Springorum-Trasse zur Wittener Straße. Der Rest bleibt Parkplatz.
Die gesamte Verbindung – noch ohne Springorum-Trasse – war bereits 1988 Teil des Pilotprojekts »Radwege- und Beschilderungsplan Bochum« und sollte ausgebaut werden. Siebenunddreißig Jahre später ist sie immer noch ein Trümmerhaufen und wird es bleiben. Das ist die »fahrradfreundliche« Stadt Bochum.
Fußnoten:
- Mitteilung der Verwaltung Nr.: 20250130 vom 22.01.2025 ↩︎
- https://www.adfc.de/fileadmin/user_upload/Im-Alltag/Radverkehrsgestaltung/Download/Positionspapier_geschuetzte_Radfahrstreifen.pdf ↩︎
- Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gehweg#Deutschland ↩︎
- Im Radverkehrskonzept der Stadt Bochum ist ein Breitenzuschlag von 0,50 m vorgesehen. ↩︎