Auszüge aus dem Aufsatz »DEPRESSIONEN IN BOCHUM. Stadtplanung an den Bedürfnissen der Menschen vorbei« (1975).
Bochum will dynamisch sein, die Zukunft soll ohne Vergangenheit bewältigt werden. „Stillstand heißt Rückstand.“ Die Menschen werden weniger, aber sie brauchen immer mehr.
Man gibt jede Menge Planungsgutachten in Auftrag, und es kommt stets dabei heraus, dass alles größer werden muss: mehr Verwaltung, mehr verwaltete Kultur, mehr geplante Freizeit, breitere Straßen, mehr Wohnungen, mehr Geschäfte, höhere Häuser, mehr Zentren, mehr Umtrieb, mehr Hektik, mehr Umsatz.
Wer immer noch glaubt, die neuen Zentren seien ein Rezept für städtisches Leben, sollte einmal einen
halben Tag im Uni-Center Querenburg verbringen. Separation ist Trumpf. Das gibt „saubere Lösungen“.
Am wirksamsten lassen sich die kolossalen „Centers“ durch einen gigantischen Wirrwarr von Straßen von
ihrer Umgebung abtrennen: als totale Erschließung gedacht, sind die spagettigleichen Straßenschlingen
die beste Garantie für eine Abschließung des Zentrums.
Die Straßenbahn muss nun absurderweise (wie die Straße vernünftigerweise) weitab vorbeifahren.
Immerhin ist es ein langer, langweiliger Weg von den äußeren Universitäts-Riegeln über das größenwahnsinnige Forum und die zugige Fußgängerbrücke zum Einkaufszentrum.
Aber nicht nur die weniger zahlungskräftigen Studenten haben es weit – und zwischen sich und dem Zentrum das breite Autofahrband. Auch die Leute aus den Siedlungen Hustadt und Steinkuhle müssen sich als Fußgänger zum Zentrum weidlich plagen. Die Planer wollten ihr Versorgungsparadies offensichtlich genau in die leere Mitte zwischen diesen drei Schwerpunkten legen und haben sich damit prompt zwischen die Stühle gesetzt. Das kombinierte Verkaufs-, Wohn- und Verwaltungsschlachtschiff gehört nirgendwo hin; auch an der Universität hängt es nur mit einer Nabelschnur.
In monotoner Reihung kämpfen die Fakultätskasernen hochmütig gegen die Landschaft und zeugen vom unflektierten Optimismus der sechziger Jahre, als wir noch meinten, alles sei machbar – und alles was machbar sei, sei auch gut – und je mehr Beton sich über die Erde ergieße, umso überlegener erweise sich die menschliche Zivilisation.
Selten habe ich dreckigere, mit Abfall übersäte Grünflächen als hier gesehen. Raus aus dem Auto, schnell durch dos lieblose Treppenhaus und Rückzug hinter die privaten vier Wände. Ist das erstaunlich bei diesem Angebot?
Mon sollte meinen, mit unseren Möglichkeiten des raschen Vollzugs und weitvorausschauender, komplexer Planung sei es kein Problem, solche Wohngebiete wie Hustadt und Steinkuhle und die Universität mitsamt ihrem Center wenigstens verkehrsmäßig optimal mit Bochum zu verbinden. Weit gefehlt: obwohl offiziell gefordert wird, dass neue Wohnstandorte und öffentliche Nahverkehrs-Trassen so eng wie möglich zusammenkommen sollen, liegt die Straßenbahnhaltestelle an der Universitätsstraße so weit von der Hustadt entfernt, dass eine Zubringerbuslinie eingeführt werden musste, um überhaupt Leute in die Straßenbahn zu bringen. Kein Wunder, dass sich die meisten Hustädter dennoch nicht für dieses geplant umständliche, unbequeme Verkehrsmittel entscheiden, sondern lieber dos Auto benützen.
Die Universität ist ganz auf Autos eingestellt, nur eine verschwindende Minderheit der Studenten benutzt die Straßenbahnen, das Zentrum Querenburg ist sowieso auf Autos eingestellt, es steht gleichsam auf Autos. Und die autobahnähnliche Universitätsstraße könnte aus Amerika stammen: allein fünf überdimensionale, landverschlingende, kreuzungsfreie Knoten im weiteren Universitätsbereich.

Ein kritischer Experte schreibt zur Bochumer Verkehrsplanung: „Die Universitätsstraße demonstriert verfehlte Anpassungsplanung. Der Straßenraum wird dem (erwarteten) Verkehrsaufkommen völlig unkritisch angepasst. Dadurch werden nicht nur dem vorhandenen Verkehr neue Flächen zur Verfügung gestellt, sondern zusätzlich wird latent vorhandener Verkehrsbedarf aktualisiert, also der bekannte Sogeffekt neuer Straßen wirksam. Es werden Fahrten ausgeführt, die ohne die betreffenden Straßenbauten unterblieben wären. Die Städte sollten jedoch gerade andersherum verfahren: sie sollten sich zunächst Überlegen, wieviel Individualverkehr sie überhaupt zulassen wollen und entsprechend dieser Überlegungen Straßen konzipieren.
Die Universitätsstraße hat auch noch sondere Folgen: so üppig wie sie von Anfang an ist, verlangt sie diese Zügigkeit überall; Nadelöhre können nicht geduldet werden, Häuser müssen weichen, und der Kahlschlag wird erst aufhören, bis die Trasse in voller Breite den Hauptbahnhof erreicht hat. Das ist schon fast wie ein Naturgesetz des Straßenbaus, obwohl doch Menschen alles entscheiden.
In Bochum hat man den Eindruck, dass es Planer gibt, die glauben, großstädtische Qualität sei vor allem
an der Anzahl enormer und schneller Straßen abzulesen. Denn anders ist nicht zu erklären, dass Bochum
die Stadt mit dem weitaus höchsten Straßenanteil im Ruhrgebiet ist.

Ein französischer Pater, der Bochum besucht hat, schreibt „Zur Zeit scheint ein Betonwahnsinn das Land
überfallen zu haben. Man kann den Mut der Architekten nur bewundern, der überall neue Städte und übermäßige öffentliche Gebäude errichtet … Die Städte werden auch mitunter gespenstische, eingeschlossene Weltalls, wo die verschiedenen sozialen Gruppen, durch die tiefen Gröben der Autostraßen getrennt, streng parkiert stehen … Hinter der sich ins Unendliche streckenden Bochumer Universität erhebt sich eine Stadt (gemeint ist das Uni-Center), in der es unmöglich ist, Erde zu berühren: Ist das Auto mit Mühe geparkt, so muss man wenigstens eine Etage hochsteigen, um auf Straßen, Geschäfte, öffentliche Verwaltungsgebäude zu stoßen, und man muss sich sozusagen aus der Stadt herauslehnen, um einen Baum oder vom sonstigen Rest der Natur etwas zu bemerken. Wird man rechtzeitig einholten können, um zu vermeiden, ein ganzes Volk in diese erstickenden Sackgassen einzubetten, es in zukunftslose Entwicklung zu stürzen?“
Peter M. Bode, München
Der Aufsatz erschien 1975 im Katalog zur Ausstellung »Umbau der Stadt – Beispiel Bochum« im Kunstmuseum Bochum. In dieser Ausstellung und der Folgeausstellung »über die moderne art zu leben« (1977) befassten sich Michael Fehr und Diethelm Koch kritisch mit »modernem« Städtebau und autozentrierter Verkehrsplanung.
Peter M. Bode war 1986 auch Mitautor des Ausstellungskatalogs »Alptraum Auto«, München 1986.
1970 war das Jahr mit den meisten Verkehrstoten in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt: 21.322 Getötete auf deutschen Straßen – allein in Westdeutschland.
Bemerkenswert ist, was in den Planungen und Bauten in Bochum, in den beiden Ausstellungen, in den Katalogen und in diesem Aufsatz überhaupt nicht vorkommt: Das Verkehrsmittel Fahrrad.


Schon 1972 wurden in (West-)Deutschland wieder gut drei Millionen Fahrräder gekauft.
Der ADFC wurde 1979 gegründet. Die Grünen im Januar 1980. Im Mai 1980 titelte der Spiegel: »Zurück aufs Rad«.
»Die Deutschen steigen wieder aufs Rad. Die einen radeln, weil es Muskeln macht, andere strampeln sich für eine gesündere Umwelt ab, mancher will nur Sprit sparen. Ob als Trimmgerät oder für den Nahverkehr – nie waren Fahrräder in der Bundesrepublik seit den Nachkriegsjahren so gefragt wie jetzt.
Durch simple Mechanik habe der Mensch »die biologische Evolution überflügelt« sinniert der Ulmer Dozent für Physikalische Chemie und Fahrrad-Fachautor Hans-Erhard Lessing.«4
Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) spricht vom »Bürgerkrieg auf unseren Straßen«. Gesinnungsgenossen melden sich überall in der Republik. In Essen kommen auf 1397 Kilometer Straße 90 Kilometer fürs Rad — weniger als sieben Prozent.
(Der Spiegel Nr. 19 / 04.05.1980)
Das Auto, Traum oder Alptraum? 5

»Warum nimmt man in unserem Land das Fahrrad nicht ernst?«

Es ist das Fahrrad, das beweglich macht.
Ossi Baumeister in: Aus eigenem Antrieb: Fahrradfahren.
Fußnoten:
- Bild: Presse- und Informationsamt Bochum.
In: über die moderne art zu leben (Ausstellungkatalog Kunstmuseum Bochum) , anabas 1977, S. 78 ↩︎ - https://geoportal.bochum.de/mapapps/resources/apps/stadtgeschichte/index.html?lang=de&l=-grp_stolpersteine%2Cgrp_luftbilder ↩︎
- über die moderne art zu leben (Ausstellungkatalog Kunstmuseum Bochum) , anabas 1977, S. 181 ↩︎
- https://www.spiegel.de/politik/wonniges-dahingleiten-geschwind-wie-ein-pfeil-a-ac99b44d-0002-0001-0000-000014331570
Hans-Erhard Lessing: »Das Fahrradbuch«, rowohlt 1978, S. 13 ↩︎ - Alptraum Auto – Eine hundertjährige Erfindung u. ihre Folgen. (Begleitbuch zur gleichnamigen Photo-Ausstellung ‚Alptraum Auto‘). Bode, Peter M. , Hamberger, Sylvia , Zängl, Wolfgang . Mitarb.: Ossi Baumeister. München Raben-Verlag. 1986. ↩︎