Radverkehrskonzept: Ab in die Tonne

Beispiel für eine Veloroute

Beispiel für eine Veloroute im Radverkehrskonzept: Von Haus zu Haus so breit wie eine Hauptverkehrsstraße. (Abb. 73, S. 84)

Das Bochumer Radverkehrskonzept (RVK) ist noch keine zwei Jahre alt. Es wurde am 4. Mai 2023 vom Rat der Stadt Bochum beschlossen1. Aber schon jetzt arbeiten Politik und Verwaltung der Stadt Bochum hart daran, das Konzept Schritt für Schritt in die Tonne zu kloppen.

Das wichtigste neue Element in diesem Konzept – neben der Wiederholung der ständig gebrauchten Gemeinplätze – waren die Velorouten. Der Begriff »Veloroute« kommt im Radverkehrskonzept nicht weniger als 50 mal vor. Von Hauptrouten des Radverkehrsnetzes ist nur halb so oft die Rede. Dabei gehörte der Wunsch nach einem Netz aus Hauptrouten zu den Hauptpunkten, die am häufigsten von Seiten der Bürger vorgebracht wurde. Im RVK heißt es: »Über die Hauptrouten sind alle Stadtteile erschlossen und die Velorouten ergänzen das Hauptroutennetz.« (S. 77) »Ergänzen«!

Hauptrouten / Radwege insbesondere an Hauptverkehrsstraßen im Folgenden als „Hauptrouten“ bezeichnet sind ein weiterer wichtiger Baustein des Basisnetzes für die Stadt Bochum. Es dient zur Verbindung der Stadtteile und ermöglicht die Erreichbarkeit zentraler Bereiche. … Die Hauptrouten werden vorrangig entlang des Vorrangstraßennetzes für den Kfz-Verkehr geführt. Ein Ausbau entlang dieser Strecken zur Erreichbarkeit der direkt anliegenden Wohnhäuser sowie Geschäfte ist unumgänglich. … Durch die Velorouten sollen zusätzliche Alternativen geschaffen werden.

Radverkehrskonzept (RVK) S. 84.

Dementsprechend müssten alle Innenstadtradialen Teil des Hauptroutennetzes sein. Bis jetzt (2025) hat aber nur eine einzige Innenstadtradiale überhaupt durchgehende Radwege – und die sind ungenügend: An der Herner Straße fehlen die unbedingt erforderlichen Sicherheitstrennstreifen zu den parkenden Pkw entweder ganz oder sie sind ungenügend ausgeführt. Das allein »führt zur Abwertung«, wie die Stiftung Warentest sagen würde.

Allerdings ist im RVK an dieser Stelle bereits ein weiterer, folgenschwerer Fehler versteckt:
Es gibt gar kein »Vorrangstraßennetz für den Kfz-Verkehr«. Es gibt nur ein »Vorbehaltsnetz« und der Vorbehalt in diesem Netz bezieht sich auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf diesen Straßen. Ein Vorrang für den motorisierten Verkehr gegenüber dem nicht motorisierten Verkehr (Fußgänger und Radfahrer) ist rechtlich gar nicht zulässig. Vorrang haben diese Straßen allenfalls, weil sie in der Regel als Vorfahrtstraßen beschildert sind, aber dann haben Fahrräder genauso Vorfahrt wie die Autos auch.

Mit anderen Worten: Die 1962 begonnene und beim Umbau des Ostrings konsequent umgesetzte Diskriminierung des Radverkehrs in der Autostadt Bochum ist 2023 immer noch eine Grundvoraussetzung des Radverkehrskonzepts!

Auch Trassenwege, die bereits heute eine hohe Bedeutung für den Radverkehr aufweisen wie beispielsweise die Springorumtrasse oder die Erzbahntrasse werden in Teilen den Hauptrouten zugeordnet. Auf den Trassenwegen sind sowohl Alltags- als auch Freizeitradverkehr vorhanden. Die Kapazitätsgrenzen sind teilweise erreicht oder überschritten, sodass mittel- bis langfristig ein Ausbau erfolgen muss.

ebd.

Die Velorouten sind also ausdrücklich nur als »Ergänzung«, als »zusätzliche Alternative« vorgesehen. Trotzdem werden sie in der Hierarchie des Radverkehrskonzepts sehr deutlich über den Hauptrouten angeordnet und als innerstädtische Radschnellwege konzipiert:

In der Beschlussvorlage zur Veloroute #3 spricht die Verwaltung ausdrücklich von gegenüber den Hauptrouten »hierarchisch höhergestellten Velorouten«.

Radfahrende können auf Velorouten mit kurzen Reisezeiten rechnen und genießen nach Möglichkeit Vorrang vor dem Kfz-Verkehr. Das Netz soll vorrangig abseits des Vorrangnetzes des Kfz-Verkehrs aufgebaut werden und für Entfernungen bis 15 km ausgelegt werden.

Sehr deutlich wird das an der vorgesehenen Reisegeschwindigkeit. Die Reisegeschwindigkeit ist die tatsächliche Durchschnittsgeschwindigkeit über die gesamte Streckenlänge, inklusive aller Zeitverluste durch Ampeln, Kreuzungen, Abbiegevorgänge, Konflikte, Staus und andere Wartezeiten.

Um z.B. 15 km mit einer Reisegeschwindigkeit von 25 km/h zurückzulegen, darf die tatsächliche Fahrtzeit nicht mehr als 36 Minuten betragen. Laut RVK soll die Reisegeschwindigkeit auf Velorouten wie auf Radschnellwegen 20-25 km/h betragen, auf den Haupt- wie auch den Nebenrouten dagegen nur 16 km/h. Hauptrouten sollen also gerade mal so schnell sein wie Nebenrouten. Velorouten dagegen sollen mühelos das Niveau der Radschnellwege des Landes NRW, also z.B. des RS1 erreichen.
Der Leitfaden für Radschnellwege in NRW verlangt für Radschnellwege »eine Befahrbarkeit in einer Geschwindigkeit von mindestens 30 km/h«2, um die vorgegebene Reisegeschwindigkeit von mindestens 20 km/h erreichen zu können3. Bochums Velorouten müssten dieselbe Bedingung erfüllen, weil die geforderte Reisegeschwindigkeit wegen der komplexen Wegführung im städtischen Bereich sonst nicht zu erreichen ist. Die Trennung von Fuß- und Radverkehr ist dafür eine unbedingte Voraussetzung.

Auf einer Veloroute sollen zwei Radfahrende nebeneinander fahren und im besten Fall noch von einer dritten Person überholt werden können.

RVK S. 83

Beispiel: Von Gelsenkirchen über Wattenscheid nach Hattingen

Die Verbindung von Gelsenkirchen über Wattenscheid nach Hattingen ist genau 15 km lang. Mit dem Auto braucht man knapp 30 Minuten. Über eine Veloroute bei einer Reisegeschwindigkeit von 20 km/h wären dafür 45 Minuten nötig. Aber dann darf die Strecke über Velorouten nicht länger sein als die direkte Straßenverbindung. Was nützt es, wenn die Reisegeschwindigkeit auf einer Veloroute tatsächlich höher wäre als auf einer Hauptroute, aber der Weg 50 % länger? Dann wäre ich auf einer optimalen Veloroute deutlich länger unterwegs als auf einer schlechten Hauptroute.

Umwege, Zeitverluste, Höhenmeter

Die Begriffe »Umweg« und »Zeitverlust« kommen im ganzen RVK aber überhaupt nur einmal vor, bei der Qualitätssicherung: »geringe Umwege und Zeitverluste, geringe Steigungen und ein guter Betriebszustand« (S. 126). Offensichtlich sind diese Anforderungen so selbstverständlich, dass man sie nur hier erwähnen muss. Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) von 2010 sind da deutlicher. Sie fordern »minimale Umwege (Umwegfaktor max. 1,2 gegenüber der kürzestmöglichen Verbindung, max. 1,1 gegenüber parallelen Hauptverkehrsstraßen) und keine zusätzlichen Steigungen« (S. 10).

In den ERA sind Umwege und Steigungen ein durchgehend betontes Thema, nicht aber im RVK.

Das Scheitern des RVK ist vorprogrammiert

Die Anforderungen an die neue »Wunderwaffe« Veloroute sind so hoch, dass die praktisch nicht umsetzbar sind. Daran hängt aber das ganze RVK.
Die Stadt Bochum priorisiert in der Praxis die Velorouten als vermeintlich einfache Lösung bei weitem gegenüber dem Ausbau der Hauptrouten entlang der Hauptverkehrsstraßen (Innenstadtradialen, Hellwege und z.B. Zeppelindamm). Die – auch laut RVK – unverzichtbaren Radwege an den Innenstadtradialen und Hellwegen werden von der Stadt Bochum schon seit über 60 Jahren verschleppt. Spätestens seit dem Pilotprojekt Radwege- und Beschilderungsplan Bochum von 1988 war die Dringlichkeit bekannt und zumindest auf dem Papier auch im Radverkehrskonzept von 1999 berücksichtigt. De facto tut aber die Stadt Bochum auch im Jahr 2025 immer noch alles, um z.B. Radwege auf der Wittener Straße zu umgehen. Das zeigte schon das Pilotprojekt und aktuell die Beschlussvorlage zur Veloroute #3 (TBA 2).

Bochum will mit vier der dreizehn Velorouten des RVK zeigen, wie das Konzept umsetzbar ist
(Ich verwende durchgehend die Nummerierung aus dem RVK und mache das durch ein »#« deutlich. Das Tiefbauamt nummeriert seine Velorouten abweichend nach der Reihenfolge, in der gebaut werden soll):
Veloroute #11 (TBA 0): vom Radkreuz Bochum über Wattenscheid nach Essen Steele (ca. 8 km).
Veloroute #1/13 (TBA 1): vom Radkreuz nach Riemke. Im RVK ist diese Veloroute gar nicht vorhanden.
Veloroute #3 (TBA 2): vom Radkreuz nach Langendreer Markt (ca. 9 km).
Veloroute #8 (TBA 3): vom RS1 in Wattenscheid zur RUB.

Die Veloroute #11 nach Essen-Steele

Veloroute #11 Wattenscheider Hellweg: So könnte es gehen – auf einer Hauptverkehrsstraße.

Die Veloroute #11 war die erste, die in Bochum – teilweise – realisiert wurde. Das TBA verschweigt diese Veloroute geflissentlich, weil sie vollständig auf Hauptverkehrsstraßen verläuft (Alleestraße – Essener Straße – Wattenscheider Hellweg). Da, wo die Veloroute vorhanden ist, funktioniert sie sehr gut, außer man will nach links abbiegen. Das Problem ist das, was nicht da ist, nämlich der Abschnitt vom Westring bis zur Essener Straße und der Abschnitt vom Ortsausgang Sevinghausen bis zur Stadtgrenze Essen.
Die Stadt Bochum macht keinerlei Anstalten, daran etwas zu ändern und hat die Situation sogar im Bereich Goldhamme zwischen Wattenscheider Straße und Gotenstraße nachträglich noch verschlechtert.

Die Veloroute #1/13 nach Riemke

Die Veloroute #1/13 ist im RVK so gar nicht vorhanden. Im RVK führt die Veloroute #1 über die Bergstraße, der Abzweig nach Riemke ist die Veloroute #13.
Das Tiefbauamt hat dagegen einfach eine Strecke aus dem Pilotprojekt von 1988 reaktiviert und zur Veloroute 1 erklärt.
befindet sich seit längerem in der Planung und hat nördlich der Agnesstraße bereits einen gewaltigen politischen und medialen Aufschrei produziert: Auf den schmalen Anliegerstraße drohen die gewohnten Parkmöglichkeiten vor der Haustür wegzufallen.
Problemlos ist eigentlich nur der Abschnitt Wielandstraße, vom Bergbaumuseum bis zur Heinrich-Böll- Gesamtschule. Davor (Querung des Nordrings) und danach sind die Probleme und die Kosten gewaltig.
Auf Grund dieser Erfahrungen hat die Politik dann auch angesichts der Veloroute #3 (TBA 2) schon vorsichtshalber Position bezogen:

Der Veloroute dürfen kaum, am besten gar keine Parkplätze zum Opfer fallen.

Martina Schnell, verkehrspolitische Sprecherin der SPD4

Wir befürchten allerdings auch, dass sich ein altbekanntes Bochumer Muster wiederholen könnte – und dass mit einer Veloroute auch wieder ein Parkplatz-Kahlschlag folgt. …
Wenn Straßen zu Fahrradstraßen werden, müssen wir besonders aufpassen; dann dürfen Pkw nicht ausgeschlossen werden – und das Parken muss weiter erlaubt sein.

Dr. Stefan Jox, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Ratsfraktion5

Aber: Es gibt keinen Anspruch auf Parkflächen im öffentlichen Raum – sagt das Tiefbauamt, wenn es gerade passt.

Die Veloroute #3 nach Langendreer

Darüber hinaus enthält die Beschlussvorlage 202504956 zur Veloroute #3 (TBA 2) zwischen Radkreuz und Langendreer weitere gravierende Abstriche am Konzept Veloroute. Anscheinend sah sich das Tiefbauamt nicht dazu in der Lage, eine Veloroute zu planen und hat daher die Stadtentwicklungsgesellschaft NRW.URBAN mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Diese Studie ist »grundlegend für den vorliegenden Trassenbeschluss«. Auf der 9,3 km langen Strecke sei bei durchschnittlicher Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h mit einer reinen Fahrzeit von ca. 28 Minuten zu rechnen. Allerdings redet die Verwaltung hier nur über Fahrgeschwindigkeiten und gibt die viel wichtigere Reisegeschwindigkeit, die laut RVK trotz Zeitverlusten bei 20-25 km/h liegen soll, gar nicht erst an.
Dazu kommt noch ein Umwegfaktor von 1,22, der die Fahrtzeit gegenüber der direkten Strecke (Wittener Straße) nochmals um 22 % verlängert. Die ERA erlauben nur maximal 10 %.

Kein Anschluss an das Radkreuz

»Die Veloroute 2 beginnt an der Moritz-Fiege-Straße, welche von der Massenbergstraße oder der Unteren Marktstraße über die Bleichstraße, Weilenbrink, Arndtstraße und Scharnhorststraße an das um diese Straßenzüge erweiterte Radkreuz angeschlossen wird.«

Die Moritz-Fiege-Straße ist neben der Josef-Neuberger-Straße am Nordbahnhof eine der beiden Straßen, die das neue Justizzentrum vom Ostring aus erschließen. Beide sind vom Radkreuz aus nicht erreichbar. Die Konsequenz ist eine komplizierte und umwegige »Erweiterung« des Radkreuzes. Viel einfacher und logischer ist die Einbeziehung des erweiterten Südrings von der Rottstraße über Kurt-Schumacher-Platz und Ostring bis zum Nordbahnhof in das Konzept Radkreuz. Das ist so oder so notwendig, weil die Universitätsstraße keinen Anschluss an das Radkreuz hat und auch nicht haben kann.
Von der Hattinger Straße, der Königsallee und der Universitätsstraße ist das Justizzentrum, der Nordbahnhof und die geplante Veloroute gar nicht anders als über den Innenring erreichbar.

Konsequenz: Der Innenring muss von der Rottstraße über Südring, Kurt-Schumacher-Platz (Hbf) und Ostring bis zum Nordbahnhof Radwege haben!

Das bedeutet natürlich auch, dass die Kreuzungen in diesem Bereich Radverkehrsführungen bekommen, die einfaches und sicheres Radfahren in alle Richtungen ermöglichen – anders als am Schauspielhaus vorgeführt.

Radkreuz im Radverkehrskonzept Bochum Mitte ADFC 2013
Radkreuz, Rottstraße, Südring im Radverkehrskonzept Bochum Mitte des ADFC: 2013!

Das ist die schlichte Konsequenz aus der Topographie des Bochumer Straßennetzes. Nur so kann eine direkte Verbindung von der Erzbahntrasse (Westpark) zur Königsallee und der neuen Veloroute dargestellt werden. Die Stadt Bochum sieht das genauso:

Es ist weiterhin geplant, die Springorumtrasse an den Ostring anzuschließen. Damit könnte die Innenstadt sehr direkt angebunden werden.7

Die Springorum-Trasse soll zum Nordbahnhof verlängert werden

Was schon bei der Planung des ersten Bauabschnitts der Springorum-Trasse von der Goerdtstraße bis zur Querenburger Straße geplant war, soll jetzt Realität werden: Die Verlängerung der Springorum-Trasse durch den Tunnel unter den Bahngleisen über das Gelände der FIEGE-Brauerei Richtung Nordbahnhof. Das galt wegen der ablehnenden Haltung der DB lange als unmöglich, soll jetzt aber möglich sein.
Es steht allerdings in den Sternen, wann gebaut werden kann.

Tunnel am nördlichen Ende der Springorum-Trasse (2012): Nur eingleisig.
Tunnel am nördlichen Ende der Springorum-Trasse (2012): Nur eingleisig.

Bis dahin soll die Veloroute über Wittener Straße, Akademiestraße, Am Lohberg und Goerdtstraße geführt werden, obwohl die gleichzeitig »Führung über die Wittener Straße weitestgehend zu vermeiden« ist.
Hier werden die zu Grunde liegenden Widersprüche des gesamten Konzepts offen sichtbar.

Die Wittener Straße – Stadtstraße!

Die Wittener Straße ist die einzige Direktverbindung vom Stadtzentrum nach Langendreer und muss daher selbstverständlich auf der ganzen Länge einwandfreie Radwege haben. Bis jetzt gibt es nur Bruchstücke, die nur in wenigen Teilen die Basisanforderungen erfüllen. Die Wittener Straße erschließt vom Stadtzentrum her nicht nur den Weg nach Langendreer, sondern auch nach Altenbochum, den neuen Wohnquartieren (Ostpark) und Mark 51°7. Es gibt keine Alternativstrecke, die die Anforderungen der ERA 2010 erfüllt.

Die Beschlussvorlage behauptet daher:

Im vorhandenen Straßenquerschnitt der Wittener Straße ist die Anlage gesicherter und daher vom Kfz-Verkehr baulich getrennter Radverkehrsanlagen mangels verfügbarer Flächen nicht umsetzbar. Ebenfalls sind die Abbiegebeziehungen aus der Wittener Straße in die nördlich angrenzenden Anwohnerstraßen überwiegend konfliktreich oder wenig komfortabel. … Die begrenzten Platzverhältnisse bieten nicht genug Spielraum um das Abbiegen so weit zu verbessern, dass es für alle Radfahrenden akzeptabel würde.

Das gilt – wie man lieber vorsätzlich verschweigt – nur dann, wenn der Vorrang des motorisierten Verkehrs gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern aufrecht erhalten werden soll. Für den Abschnitt zwischen Steinring und Südring hatte die Bochumer Verwaltung im Jahr 2010 selbst eine Lösung vorgestellt, die durch die beidseitige Reduzierung auf einen Kfz-Fahrstreifen pro Richtung den erforderlichen Raum frei gemacht hätte (Beschlussvorlage 20102436, im RIS – zufällig – nicht mehr auffindbar).

Sowohl die Lösung mit zwei als auch mit drei Fahrspuren weist eine Leistungsfähigkeit der
Qualitätsstufe gut bis sehr gut, abhängig von den unterschiedlichen Tageszeiten, auf.

Beschlussvorlage 20102436

Die Beschlussvorlage benennt auch klar die Nachteile der Variante mit drei Fahrstreifen:

  • Die Radfahrstreifen werden auf das Mindestmaß von 1.50 m (zzgl. 0.50 m Sicherheitsraum vor den Parkstreifen) reduziert.
  • Im Bereich der Einmündung Akademiestraße wird das Mindestmaß auf ca. 50 m Länge unterschritten.
  • Im Bereich vor dem BP/ARAL-Gebäude kann dem Radfahrer nur ein Schutzstreifen von 1.30 m Breite angeboten werden.

Tatsächlich wird nicht einmal das heute gar nicht mehr zulässige Mindestmaß von 1,50 m auch tatsächlich eingehalten. Das RVK verlangt 2,50 m statt 1,50 m.

Mit anderen Worten: Die Stadt Bochum – Politik und Verwaltung – weiß genau, was möglich ist, sie will aber nicht. Und weil sie nicht will, folgt sie »messerscharf« Christian Morgenstern:

Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein  kann, was nicht sein  darf.

Christian Morgenstern: Die unmögliche Tatsache, 1932, in: Alle Galgenlieder.

Die Südumfahrung der Wittener Straße taugt nichts – sagt die Verwaltung

Die Wasserstraße ist Teil der Südumfahrung Wittener Straße – ohne jede Radverkehrsführung.

Die gemeinhin als Südumfahrung Wittener Straße bekannte Verbindung Düppelstraße, Glockengarten, Am Pappelbusch, Wasserstraße, Kettelerstraße, Goystraße, Tippelspfad, Laerstraße und Dannenbaumstraße … fällt in der Machbarkeitsstudie jedoch aufgrund des zu erwartend hohen planerischen und baulichen Aufwands inklusive Kfz-Stellplatzentfalls sowie der vielen Abbiegevorgänge im Vergleich zu der Nordvariante deutlich ab. … Diese Strecke muss planerisch verbessert werden.

Beschlussvorlage 202504956 zur Veloroute #3

Konsequenz: Die Wittener Straße muss Stadtstraße werden – nicht nur in Laer, sondern auf der ganzen Länge!

Bahntrassenwege taugen nicht als Velorouten

Springorum-Trasse: Man kann die Brücken nicht einfach verdoppeln.
Springorum-Trasse: Man kann die Brücken nicht einfach verdoppeln. Und die Tunnel erst recht nicht.

Die geplante Veloroute soll auch über die – im Wesentlichen dort noch gar nicht vorhandene Springorum-Trasse geführt werden. Dabei sagt das RVK selbst schon sagt: »Auf den Trassenwegen sind sowohl Alltags- als auch Freizeitradverkehr vorhanden. Die Kapazitätsgrenzen sind teilweise erreicht oder überschritten«. Über die Springorum-Trasse sagt die Stadt Bochum selbst:

Mit teils über 3.000 Radfahrenden pro Tag stößt die Trasse an schönen Sommertagen an ihre Kapazitätsgrenzen.9

Durch die zusätzliche Nutzung als Velorouten nimmt der Verkehr auf den Trassen nicht ab. DIe Velorouten haben ja gerade das Ziel, den Radverkehrsanteil zu erhöhen!
Im RVK heißt es:

Auch die Trassenwege, wie die Erzbahntrasse oder die Springorumtrasse weisen im Zweirichtungsverkehr eine zu geringe Breite auf.

Ein Ausbau der schmalen Bahntrassenwege ist in vielen Fällen gar nicht möglich. Dafür wäre ein Wegbreite von mindestens 6,50 m erforderlich, plus Sicherheitsräume und Seitenbereiche:

Lichtraumprofil eines Radschnellwegs, der Nebeneinanderfahren bzw. Überholen in beiden Richtungen erlaubt und den Fußverkehr getrennt führt. Mit den Sicherheitsräumen erfordert das einen Gesamtbreite von 8,00 Metern – ohne die Entwässerung. Der Leitfaden für Geh- und Radwege sieht für Fußgänger und Radfahrer jeweils mindestens 3,00 Wegbreite vor. Eine Veloroute, die dem RVK entspricht hat identische Anforderungen. Das geht nur mit zweigleisigen Bahntrassen. Utopisch.

Auf einer Veloroute sollen zwei Radfahrende nebeneinander fahren und im besten Fall noch von einer 3. Person überholt werden können.

Die Konsequenz: Wenn Velorouten über Bochumer Bahntrassenwege geführt werden,
können Radfahrende nicht nebeneinander fahren, überholen ist kaum möglich und die Trennung von Fuß- und Radverkehr ist nicht darstellbar. Also:

Bahntrassenwege können nicht Teil von Velorouten sein!

Insgesamt sollen für die geplante Veloroute 13 Straßenabschnitte zu Fahrradstraßen umgebaut werden – selbstverständlich ohne dass Parkflächen entfallen.

Konsequenz: Keine Velorouten auf Bahntrassenwegen!

Komplexe Lage ab Alte Wittener Straße

Geh- und Radweg an der Wittener Straße am Ümminger See: Viel zu schmal.

Für den an die Alte Wittener Straße anschließenden Abschnitt 3 an der Wittener Straße bis zur Ümminger Straße hat der Ausschuss für Infrastruktur und Mobilität der Verwaltung schon im November 2021 (!) einen Planungsauftrag erteilt, der die völlig unzureichende Situation in diesem Bereich optimal lösen soll.

Dabei geht es sowohl um die Verbindung nach Langendreer als auch die Verbindung zum Ümminger See und zum Weg am Langendreer Bach Richtung S-Bahnhof Ost als auch um den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Parkway-Emscher-Ruhr. Eine komplexe Gemengelage. Eine Planung dafür hat die Verwaltung nach mehr als drei Jahren Vorlauf bis heute nicht vorgelegt.

Für die Veloroute sollen trotzdem »die vorhandenen Wege entlang des Langendreer Bachs genutzt« werden.

Mittelfristig ist vorgesehen für die Bereiche entlang des Langendreer Bachs eine gemeinsame Lösung im Zuge der Anlage von Retentionsflächen und der Renaturierung des Fließgewässers zu erreichen.

»Mittelfristig« bedeutet in Bochumer Radverkehrsplanungen erfahrungsgemäß: in einer nicht näher definierbaren entfernten Zukunft – aber nur vielleicht.

Ein Drittel ist mehr als zwei Drittel

Der dargestellte Abschnitt 3 orientiert sich überwiegend an der, aus den Stadtradeln-Daten zu er-kennenden, radverkehrlichen Nutzung. Ab dem Abzweig Langendreer Bach bewegen sich ca. 2/3 der Radverkehre auf der Unterstraße, wohingegen ca. 1/3 aller Radverkehre auf der Parallelachse entlang des Langendreer Bachs verlaufen. Aufgrund der Charakteristik der Unterstraße und hohen baulichen Aufwänden zur Realisierung des Veloroutenstandards, scheidet diese als Variante aus. Durch die Stadtradeln-Daten wird jedoch bezeugt, dass ca. 1/3 der Radfahrenden auf dieser Streckenverbindung dazu bereit sind, leichte Umwege und Zeitverluste in Kauf zu nehmen, um die Kfz-freie und somit in der subjektiven Wahrnehmung sicherere Variante entlang des Langendreer Bachs zu wählen.

Es ist kein Zufall, dass zwei Drittel der Radfahrenden die direkte Verbindung entlang der Wittener und Unterstraße wählen – trotz der höchst problematischen Radverkehrsführung auf dem viel zu schmalen einseitigen Zwei-Richtungs-Rad- und Gehweg. Also macht man in der Beschlussvorlage aus der schlechten und teilweise gefährlichen Wegführung am Langendreer Bach »leichte Umwege und Zeitverluste«, um das wirkliche Problem zu umgehen: Die Wittener Straße.
Die »Grünverbindung Langendreer Bach« ist schon bis zum Waterfuhrweg schon 1.500 m lang und nur ein Gemeinsamer Geh- und Radweg, der nur teilweise asphaltiert ist.
Es wäre wirklich wünschenswert, wenn dieser für eine Veloroute völlig untaugliche Weg tatsächlich fahrradfreundlich gestaltet würde und zwar durchgehend bis zur Hauptstraße am S-Bahnhof Langendreer. Aber nicht »mittelfristig«, sondern sofort. Und dann stellen sich wieder die Fragen:
Wo soll die erforderliche Wegbreite herkommen?
Wie sollen die Kreuzungen mit den Straßen Am Neggenborn und Bahnhofstraße entschärft werden, um die Sicherheit von Rad fahrenden Kindern und Familien zu gewährleisten?
Wann werden die Straßen Oelbachtal, Dördelstraße und Bonackerweg fahrradfreundlich?
Wie wird die Kreuzung an der Hauptstraße mit der S-Bahn-Unterführung Richtung Dortmund fahrradfreundlich?

Die Beschlussvorlage zur Veloroute #3 zeigt vor allem, wie man Velorouten nicht gestalten darf – wenn man das Radverkehrskonzept der Stadt Bochum ernst nehmen und nicht in die Tonne treten will.
Die Probleme sind nicht neu. Und sie müssen jetzt gelöst werden.

Drei Folgerungen aus der Beschlussvorlage zur Veloroute #3:

  1. Der Innenring muss von der Rottstraße über Südring, Kurt-Schumacher-Platz (Hbf) und Ostring bis zum Nordbahnhof Radwege haben!
  2. Die Wittener Straße muss Stadtstraße werden – nicht nur in Laer, sondern auf der ganzen Länge!
  3. Keine Velorouten auf Bahntrassenwegen!


Anmerkungen:

  1. https://www.bochum.de/Tiefbauamt/Radverkehrskonzept ↩︎
  2. Leitfaden Radschnellverbindungen in NRW, S. 22-24 ↩︎
  3. https://www.strassen.nrw.de/de/radschnellwege-in-nrw.html https://www.strassen.nrw.de/de/radschnellwege-in-nrw.html?file=files/a_snrw-2022/dokumente/01_planen-und-bauen/03-Radwege_doc/02_Radschnellwege-in-NRW/2020-11_Radschnellwege_Leitfaden-Planung-Bau-Betrieb.pdf&cid=37057 ↩︎
  4. https://www.waz.de/lokales/bochum/article408510236/neue-radroute-in-bochum-sorge-vor-parkplatz-kahlschlag.html (WAZ+) ↩︎
  5. https://www.waz.de/lokales/bochum/article408510236/neue-radroute-in-bochum-sorge-vor-parkplatz-kahlschlag.html (WAZ+) ↩︎
  6. https://bochum.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZZMkJx1ImeEsZfhw374VcTTTqDVs0EpYSKpzfse8YtRP/Beschlussvorlage_der_Verwaltung_20250495.pdf ↩︎
  7. https://www.bochum.de/Tiefbauamt/Radfahren-in-Bochum/Radwanderwege ↩︎
  8. https://bochum.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZZMkJx1ImeEsZfhw374VcTTTqDVs0EpYSKpzfse8YtRP/Beschlussvorlage_der_Verwaltung_20250495.pdf ↩︎
  9. https://www.bochum.de/Tiefbauamt/Radfahren-in-Bochum/Radwanderwege ↩︎

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