Fahrradstraße Freigrafendamm?

Freigrafendamm (15.05.2025)

Update: 24.05.2025
2023 hat Bochum sein Radverkehrskonzept vorgestellt. Neben alten uneingelösten Versprechen gab es ein für Bochum ganz neues Element: Velorouten. Und die Messlatte dafür wurde auch gleich ganz hoch gehängt: Die Velorouten sollten die Qualität von innerstädtischen Radschnellwegen haben.

Vier von 13 möglichen Velorouten sollten beispielhaft schnellstmöglich umgesetzt werden. Im Moment geht es nur noch um zwei davon:

  1. Eine Veloroute von der Innenstadt nach Riemke
  2. Eine Veloroute von der Innenstadt nach Langendreer

Alle Planungen treffen auch das gleiche Problem: Die Messlatte liegt zu hoch. Um überhaupt so etwas wie eine Veloroute umsetzen zu können, muss Bochum eine große Zahl neuer Fahrradstraßen einrichten.

Dabei stoßen die Planer immer wieder auf das gleiche Hindernis: Die Straßen sind mit Autos vollgestellt.
Der ruhende Verkehr – eine bemerkenswerte Wortschöpfung – verträgt sich nicht mit dem Fahrradverkehr. Man kann halte jeden Quadratmeter nur einmal nutzen. Wo Autos stehen, können keine Fahrräder fahren.
Und Velorouten können, sollen und dürfen nicht zu Lasten des Fußgängerverkehrs gehen.

Deshalb sind auch alle Bahntrassenwege in Bochum für Velorouten gänzlich ungeeignet: Sie sind mit nur drei Metern Breite oft jetzt schon zu schmal und auf Velorouten sollen Fuß- und Radverkehr ja gerade getrennt voneinander geführt werden.

Für die Veloroute #2 sollen trotzdem 700 Meter Springorum-Trasse einfach zur Veloroute erklärt werden -als gemeinsamer Geh- und Radweg mit gerade einmal drei Metern Breite.

Hauptverkehrsstraßen scheiden nach dem Willen der Stadt Bochum ebenfalls aus:

In diesem Fall ist eine entsprechende Führung über die Wittener Straße weitestgehend zu vermeiden.
Die dargestellte Verbindung weicht [deshalb] von der in den Stadtradeln-Daten zu erkennenden, in der Innenstadt beginnenden Hauptverbindung des Radverkehrs über die Wittener Straße, den Lohring, die
Altenbochumer Straße und den Freigrafendamm ab.

Beschlussvorlage der Verwaltung Nr. 20250495

Natürlich wäre die Wittener Straße auf ganzer Länge die logische Hauptverbindung des Radverkehrs nach Langendreer. Aber das darf nicht sein.

Bleiben also nur die Nebenstraßen. Und die werden vielfach als Parkplätze genutzt.

Die Veloroute #2 soll – mangels Alternativen – auch über den Freigrafendamm geführt werden. (Beschlussvorlage der Verwaltung 20250495)

An der Liebfrauenstraße erreicht die Veloroute #2 den Freigrafendamm. Von da bis zur Immanuel-Kant-Straße am Hauptfriedhof soll der Freigrafendamm Fahrradstraße werden.

Die Planung der Veloroute #2 sieht vor, insgesamt dreizehn Straßenabschnitte in Fahrradstraßen umzuwandeln. Der Freigrafendamm ist nur einer davon. Man kann davon ausgehen, dass es bei jedem einzelnen Abschnitt Proteste geben wird, weil gewohnte Parkmöglichkeiten auf der Fahrbahn entfallen.
Die Diskussionen um Parkplätze entlang der Veloroute #1 nach Riemke haben das sehr deutlich gezeigt.

Der Freigrafendamm hat keinesfalls den Charakter einer Nebenstraße. Der Freigrafendamm sollte als »würdige Allee« den Zugang zum neuen Friedhof erschließen. Er verfügt über ein Straßenprofil mit getrennten Richtungsfahrbahnen, einem breiten, begrünten Mittelstreifen mit großen alten Bäumen und einem Spazierweg und großzügige Gehwege mit begrünten Vorgärten und teilweise altem Baumbestand.

Aber der ständig und intensiv zugeparkte Straßenraum trübt den guten Eindruck. 1

Der Freigrafendamm wurde geplant und gebaut als Hauptverkehrsachse in Richtung des Bochumer Hauptfriedhofs, der wiederum als Paradebeispiel der nationalsozialistischen Architektur gilt.

Der Freigrafendamm im Bochumer Stadtplan von 1927 (geoportal.bochum.de) 2

Geplant und gebaut wurde der Freigrafendamm aber schon vor hundert Jahren, in den 1920er Jahren.
Bereits vor der Eingemeindung Altenbochums im Jahr 1926 waren Pläne für einen neuen Zentralfriedhof und eine repräsentative Zufahrt in Angriff genommen worden.

Der Freigrafendamm lag damals also noch außerhalb der Stadt und wurde auf der grünen Wiese gebaut. Zwischen dem Freigrafendamm und der Altenbochumer Straße wurde zwischen 1928 und 1931 die Siedlung Freigrafendamm gebaut. Sie galt damals als modernste Großsiedlung Bochums. 

Freigrafendamm mit den Siedlungshäuern von 1928-31

Direkt am Entree zum Freigrafendamm an der Wittener Straße wurde ein Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Altenbochumer errichtet. Das Denkmal ist heute komplett vergessen. Übrig geblieben ist nur die Grünfläche, auf der das Denkmal stand. Am 18. Oktober 1931 war die feierliche Einweihung, im 2. Weltkrieg wurde die Bronzefigur des Denkmals eingeschmolzen.3

Die repräsentative Prachtallee Freigrafendamm soll 100 Jahre später jetzt eine Fahrradstraße werden.

Der Freigrafendamm als Fahrradstraße?
Problem: Links Parken

Der Freigrafendamm hat durch einen breiten Mittelstreifen getrennte Richtungsfahrbahnen.
Darf man da sein Auto auf der linken Seite parken? Es gibt ja keinen Gegenverkehr.
StVO § 12 Absatz 4 sagt:

»Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren. Das gilt in der Regel auch, wenn man nur halten will; jedenfalls muss man auch dazu auf der rechten Fahrbahnseite rechts bleiben. Taxen dürfen, wenn die Verkehrslage es zulässt, neben anderen Fahrzeugen, die auf dem Seitenstreifen oder am rechten Fahrbahnrand halten oder parken, Fahrgäste ein- oder aussteigen lassen. Soweit auf der rechten Seite Schienen liegen sowie in Einbahnstraßen (Zeichen 220) darf links gehalten und geparkt werden. Im Fahrraum von Schienenfahrzeugen darf nicht gehalten werden.«

Auf dem Freigrafendamm gab es nie eine Straßenbahn. Die Fahrbahnen sind auch keine Einbahnstraßen – außer direkt an der Wittener Straße.

Zufahrt Freigrafendamm von der Wittener Straße: In Einbahnstraßen (Zeichen 220) darf links gehalten und geparkt werden.

Abgesehen von Straßenbahnen und Einbahnstraßen gibt es nur eine weitere Ausnahme vom Verbot:
In verkehrsberuhigten Bereichen, im Volksmund auch Spielstraßen, darf man innerhalb von dafür gekennzeichneten Flächen in Fahrtrichtung links parken. Aber nur, wenn dort Flächen ausdrücklich dafür markiert sind.

Das bedeutet: Auf den getrennten Richtungsfahrbahnen am Freigrafendamm ist das Parken auf der linken Seite verboten und darf auch nicht durch Schilder oder Markierungen erlaubt werden.

An der Einmündung Altenbochumer Straße gibt es nicht einmal ein explizites Verbot, in die linke Richtungsfahrbahn abzubiegen. Allerdings gilt StVO § 2 Absatz 1:

»Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte.«

An den Fußgängerüberwegen gibt es Fahrbahnverengungen, um Nebeneinanderfahren zu unterbinden. Die Fahrbahnen sind dort nur vier Meter breit.

Tatsächlich wird in weiten Bereichen des Freigrafendamms in beiden Richtungen beidseitig geparkt. Es gibt ja in beiden Richtungen einen kurzen Abschnitt, wo das erlaubt ist.
Trotzdem ist das Parken auf der linken Seite im weiteren Straßenverlauf durch die StVO eindeutig verboten. Der Stadt Bochum ist das offensichtlich egal. Autostadt Bochum eben.

Am 20.03.2025 hat die Bezirksvertretung Mitte trotzdem mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU, FDP und BSW den Beschluss gefasst:
»Der gesamte Freigrafendamm wird von der Wittener Straße bis zur Immanuel-Kant-Straße zur Fahrradstraße, wenn das Parken auf allen 4 Parkstreifen erhalten bleibt.«4
Dumm nur, dass es keine vier Parkstreifen gibt. Genau genommen gibt es überhaupt keine Parkstreifen, es ist lediglich das Parken am rechten Fahrbahnrand erlaubt, weil es nicht verboten ist.
Das hat anscheinend nicht einmal die Verwaltung gewusst, die ja ihre Planung dort vorgestellt hat.
Dem Vernehmen nach hat das Tiefbauamt den Freigrafendamm selbst für eine Einbahnstraße gehalten.

Was wäre wenn?

Jetzt könnte man auf die Idee kommen, die Fahrbahnen des Freigrafendamms in voller Länge als Einbahnstraßen auszuschildern. Damit würde das Parken auf der linken Seite legalisiert.
Aber ist dafür genug Platz? Die Fahrbahnen des Freigrafendamms sind 7,50 Meter breit. Wohnstraßen in Tempo-30 Zonen mit dieser Breite werden oft beidseitig zum Parken freigegeben. Begegnungsverkehr von zwei Autos oder einem Auto und einem Fahrrad wird dann zum Problem. Am Freigrafendamm gibt es keinen Gegenverkehr.

Wie viel Platz braucht man in einer Einbahnstraße mit beidseitigem Parken?

Ein Parkstreifen muss für gängige Pkw – dazu gehören auch SUV beliebiger Größe – mindestens 2,50 m breit sein. Relevant ist hier nicht die in den Papieren angegebene Breite, sondern die Breite mit Spiegeln.
Experten empfehlen Mindestbreiten von 2,50 bis 2,70 Meter (z.B. für SUV und Transporter, Handwerker, Liefer- und Paketdienste usw.).

SUV auf einem neuen Parkstreifen an der Markstraße: Es reicht einfach nicht.
Von dem ohnehin zu schmalen Sicherheitstrennstreifen ist nichts mehr übrig.
Die Stadt Bochum sagt: Das liegt an der Ungeschicklichkeit des Fahrers.

Als Fahrbahn müssen mindestens 3,00 Meter frei bleiben (Rettungsfahrzeuge, Feuerwehr).
Dann wäre man bei 8,00 Metern Fahrbahnbreite. Die Fahrbahnen am Freigrafendamm haben nur 7,50 Meter. Ein Lkw, z.B. ein 40-Tonner Sattelzug muss heute schon mit äußerster Vorsicht fahren, um noch durchzukommen. Die Feuerwehr kann keine Drehleiter aufstellen. In Berlin mussten deshalb neue Pop-Up-Radwege wieder zurückgebaut werden.

Und was ist mit dem Fahrradverkehr?

Für die vorgeschriebenen Sicherheitstrennstreifen zu parkenden Kfz braucht man links und rechts jeweils 0,75 m. Dann stehen netto nur noch 1,50 m Fahrbahnbreite zur Verfügung. Das reicht gerade für einen einzelnen Fahrradfahrer, wenn er mitten auf der Fahrbahn fährt. Überholen ist verboten. Sowohl für Autofahrer als auch für Radfahrer. Beide müssen beim Überholen einen Sicherheitsabstand einhalten. De Autofahrer 1,50 Meter, ein Radfahrer mindestens 0,50 Meter. Das ist hier nicht möglich.

Welche Fahrbahnbreite wäre für beidseitiges Parken ausreichend?

Das Radverkehrskonzept der Stadt Bochum (RVK) verlangt für Radfahrstreifen 2,50 m Breite. Auf Fahrradstraßen und Velorouten sollen Radfahrer bequem nebeneinander fahren und überholen können. Auf dem Freigrafendamm als Fahrradstraße bräuchte man dazu bei beidseitigem Parken mindestens 2* 2,5 m + 2* 0,75 m + 3,00 m, also 10 Meter Fahrbahnbreite je Richtung.
Vorhanden sind nur 7,50 Meter (mehrfach in beiden Richtungen gemessen).

Wie viel Platz braucht man bei einseitigem Parken?

Mindestens 2,5 m+ 0,75 m + 3,00 m = 6,25 m Fahrbahnbreite.

Das bedeutet, dass bei beidseitigem Parken weder eine Fahrradstraße noch eine „fahrradfreundliche“ Straße möglich ist. Mit beidseitigem Parken ist der Freigrafendamm eine fahrradfeindliche Straße.

  1. https://www.waz.de/lokales/bochum/article401993847/bochum-historisch-freigrafendamm-ist-ein-ort-mit-geschichte.html (01.10.2020) ↩︎
  2. https://geoportal.bochum.de/mapapps/resources/apps/stadtgeschichte/index.html?lang=de&l=-grp_stolpersteine%2Cgrp_stadtplaene ↩︎
  3. https://www.waz.de/staedte/bochum/article8624252/einst-blickfang-am-freigrafendamm.html (02.11.2013) ↩︎
  4. https://bochum.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZe1WulJiSnr26PJGxw2FEocfJ4owlV1d4xxEx8hel17m/Oeffentliche_Niederschrift_Bezirksvertretung_Bochum-Mitte_20.03.2025.pdf ↩︎

Ein Kommentar bei „Fahrradstraße Freigrafendamm?“

  1. Bitte nie mit dieser Arbeit aufhören. Danke für die Informationen!

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