»RiM« – Todesstreifen oder Best Practice?

RIM Mark 51°7 (Suttner-Nobel-Allee / Wittener Straße)

Bild: RIM auf Mark 51°7 (Suttner-Nobel-Allee / Wittener Straße)

RiM ist ein Kürzel für »Radfahrstreifen in Mittellage«. Der Begriff ist ebenso selten wie missverständlich.
Die StVO, die Verwaltungsvorschrift dazu und die Regelwerke der FGSV (RASt, ERA) kennen keine Radfahrstreifen in Mittellage.

Prof. Thomas Richter hat 2019 an der Technischen Universität (TU) in Berlin eine Studie dazu erstellt und anscheinend den Begriff erst geprägt. Der entsprechende Artikel in der deutschen Wikipedia stammt von 2022.

Tatsächlich sind damit ganz normale Radfahrstreifen in Kreuzungsbereichen gemeint, die in der Studie mit baulichen Radwegen verglichen wurden.

Die Definition aus der Studie:

Unter dem Begriff Radfahrstreifen in Mittellage (RiM) wird im Allgemeinen eine Führungsform des Radverkehrs an Knotenpunkten verstanden, bei welcher der geradeausfahrende oder links abbiegende Radverkehr einen eigenen Radfahrstreifen erhält, der zwischen den Kfz-Fahrstreifen markiert wird. Charakteristisch für Radfahrstreifen in Mittellage ist eine Hinführung zum Knotenpunkt mit beidseitig markierten, unterbrochenen Leitlinien im Verflechtungsbereich der eine ununterbrochene Fahrstreifenbegrenzungen im unmittelbaren Knotenpunktbereich folgt.

Studie »Einsatzbereiche von Radfahrstreifen in Mittellage« S. 5

Die Definition aus der Wikipedia vermischt dagegen RiM und Fahrradweiche:

Ein Radfahrstreifen in Mittellage (kurz RiM, auch Fahrradweiche) ist ist eine Radverkehrsführung an Verkehrsknotenpunkten, bei der ein Radfahrstreifen mit unterbrochenen Leitlinien entlang des geradeaus führenden Fahrstreifens verläuft, der von dem nach rechts abbiegenden Kraftverkehr überfahren werden darf, um einen dahinter liegenden Fahrstreifen für Rechtsabbieger zu erreichen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Radfahrstreifen_in_Mittellage

Bemerkenswert an der Definition im Wikipedia-Artikel ist einerseits die Verwechslung von Radfahrstreifen und Veloweiche und zum anderen der Verweis auf »unterbrochene Leitlinien«. Unterbrochene Leitlinien an Radfahrstreifen gibt es nur da, wo Kraftfahrzeuge die Möglichkeit haben sollen, den Radfahrstreifen zum Abbiegen über einen Rechtsabbiegestreifen zu queren – also ausschließlich im genau definierten Verflechtungsbereich von Kfz- und Fahrradverkehr. So sagt es auch die Berliner Studie. Sonst dürften Kfz in Kreuzungen mit Radfahrstreifen nicht nach rechts abbiegen.

Fahrradweichen (im Schweizer Original Veloweichen) werden ebenfalls in Kreuzungsbereichen eingerichtet, sind aber de facto eine alternative Lösung zu den Radfahrstreifen mit »unterbrochenen Leitlinien«. Besonders empfohlen werden sie bei abknickender Vorfahrt und können mit oder ohne Radfahrstreifen eingerichtet werden.

Radfahrverbände kritisieren Radfahrstreifen in Mittellage laut Wikipedia unter den politischen Schlagwörtern »Angstweichen« und »Mordweichen« als gefährliche Verkehrsführung. Fraglich ist dabei zuallererst, ob die Radfahrstreifen in Mittellage oder Fahrradweichen kritisiert werden sollen.
Der ADFC in Frankfurt und Castrop Rauxel sowie Changing Cities in Berlin kritisieren Radfahrstreifen in Mittellage ohne sie von Fahrradweichen zu unterscheiden.

Hauptargument ist dabei die subjektive Sicherheit. »Hauptnachteil der Fahrradweiche ist die subjektiv empfundene Unsicherheit zwischen zwei KFZ-Streifen.« (ADFC Frankfurt/M).

Damit ein Autofahrer von seiner Geradeaus- auf die Abbiegespur kommt, muss er unvermeidlich den Radfahrstreifen kreuzen. Radfahrer fühlten sich in dem Moment durchaus unsicher, »wenn Kfz-Fahrende ›nur noch schnell‹ die Grünphase erwischen wollen und ihnen die Radfahrenden dabei bloß als Hindernis im Weg sind«, meint Tobias Kraudzun von Changing Cities (Berlin).

Damit ist das zu lösende Problem benannt: Wenn ein Radfahrer geradeaus – oder bei abknickender Vorfahrt nach links – fahren will und ein Autofahrer gleichzeitig nach rechts abbiegen will, entsteht ein Konflikt, der zu Unfällen führen kann.

Vollständig vermeiden kann man diesen Konflikt nur, wenn alle Fahrzeugführer hintereinander fahren (Mischverkehr, z.B. in Tempo-30-Zonen oder in Kreisverkehren) oder die beiden Verkehrsarten auf unterschiedlichen Ebenen geführt werden, der Radverkehr also im Kreuzungsbereich über oder unter der Fahrbahn geführt wird. Für beide Varianten gibt es Beispiele, etwa in den Niederlanden. Eingesetzt wird diese Lösung wegen des Aufwands und des Platzbedarfs in der Regel nur an außerörtlichen Hauptverkehrsstraßen.

Im beengten städtischen Raum muss man andere Lösungen finden. Dabei muss man unterscheiden:

  • Kreuzungen mit bzw. ohne Lichtsignalanlage (LSA) oder kurz Ampeln
  • Kreuzungen mit bzw. ohne Radfahrstreifen
  • Es gibt auch Kreuzungen, die geradeaus einen Radfahrstreifen haben, in der Rechtsabbiegespur aber nicht. Das verschärft das Problem.

Die grundsätzliche Alternative zu Radfahrstreifen sind bauliche Radwege, die parallel zum Gehweg verlaufen. Bauliche Radwege werden subjektiv manchmal als sicher empfunden, können objektiv aber besonders gefährlich sein. Vor allem, wenn sie – wie oft – vor langer Zeit angelegt wurden, mit dem alleinigen Ziel, die Radfahrer von der Straße zu bekommen. In Bochum und vielen anderen Städten gibt es dafür mehr als genug Beispiele.

Theoretisch können auch bauliche Radwege so angelegt werden, dass sie objektiv sicher sind, aber der nötige Aufwand ist sehr hoch und an Kreuzungen kommen die Probleme verschärft zurück, wenn der vorher verschwundene Radfahrer plötzlich wieder vor dem abbiegenden Auto auftaucht. Lösbar ist das in im Grunde nur durch eine aufwendige Signalisierung mit vollständig getrennten Signalphasen für jede Fahrtrichtung und getrennt für Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer. Das ist sehr nachteilig für die vielbeschworene Leistungsfähigkeit einer Kreuzung für den Autoverkehr.

Ausdrücklich verlangen die ERA den »Verzicht auf freie Rechtsabbieger für den Kraftfahrzeugverkehr«.
»Von den Unfällen mit Radverkehrsbeteiligung dominieren an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage diejenigen, bei denen geradeaus fahrender Radverkehr mit bedingt verträglich signalisierten links- oder rechts abbiegenden Kraftfahrzeugen aus derselben Straße kollidieren. Hierbei liegt vielfach eine Vorrangmissachtung des abbiegenden Kraftfahrzeugverkehrs vor.« (ERA S. 44)
Leider ist nicht einmal das in Bochum umgesetzt – insbesondere nicht an den verkehrsreichsten Kreuzungen wie zum Beispiel Castroper Hellweg / Harpener Hellweg und Dorstener Straße / A40.

Oder man führt den Radverkehr rechtzeitig vor der Kreuzung vom Radweg wieder auf einen Radfahrstreifen – womit man wieder bei der Ausgangssituation angekommen ist.

Die ERA benennen die Grundanforderungen aus Sicht des Radverkehrs sehr klar:

• Knotenpunkte müssen aus allen Knotenpunktzufahrten rechtzeitig erkennbar, begreifbar, übersichtlich sowie gut und sicher befahrbar bzw. begehbar sein.
• Die Knotenpunkte sollen zügig und sicher befahrbar sein (Vermeidung enger Radien, hoher Borde, abrupter Verschwenkungen) und die Verkehrsräume freigehalten werden.
• Die Grundstruktur der Signalisierung soll die Akzeptanz durch die Radfahrer fördern.
• Wartezeiten sollen möglichst kurz sein.
• Freigabezeiten für den Radverkehr sollen nicht erheblich kürzer sein als die für den parallel geführten Kraftfahrzeugverkehr.
• Es ist besonderes Augenmerk auf die Entschärfung des Konflikts zwischen geradeaus fahrendem Radverkehr und rechts abbiegenden Kraftfahrzeugen bzw. aus der Gegenrichtung links abbiegenden Kraftfahrzeugen zu legen.

ERA S. 37

Man kann sich vorstellen, dass es schwierig wird, alle Anforderungen gleichzeitig vollumfänglich u erfüllen. Die ERA sagen deshalb:

Geradeaus fahrender Radverkehr ist bei der Führung im Seitenraum gegenüber fahrbahnseitigen Führungen stärker gefährdet.

ERA S. 38

Deshalb empfehlen die ERA: »Radwege an Fahrbahnen heranführen« und »Führung von Radwegen im Blickfeld der Kraftfahrzeuge, 0,50 m abgesetzt von der Fahrbahn.« (S. 38)
Oder alternativ:
»Herstellen und Freihalten guter Sichtbeziehungen zwischen dem Radverkehr und dem Kraftfahrzeugverkehr durch Führung des Radverkehrs auf Radfahrstreifen, Schutzstreifen und fahrbahnnahen Furten.« (S. 44)

Und ausdrücklich:

Sind Rechtsabbiegestreifen in der Knotenpunktzufahrt vorhanden, werden die Radfahrstreifen für den geradeausfahrenden Radverkehr links davon angelegt. (S.49)

Mit anderen Worten: Radfahrstreifen in Mittellage entsprechen exakt den Vorgaben der ERA.
Bochum hat sich über Jahrzehnte absichtlich nicht daran gehalten und den geradeaus führenden Radfahrstreifen rechts neben dem Rechtsabbiegestreifen angelegt. Zuletzt auch noch besonders krude an der Kreuzung am Schauspielhaus, aber vorher auch an der Wittener Straße / Ferdinandstraße.
Die Folge sind erheblich verkürzte Freigabezeiten für den Radverkehr und unklare Ampelsignale, die zu gefährlichen Situationen führten.

Und die ERA sagen auch genau, was eine Fahrradweiche ist:

Fahrradweiche ERA 2010, Bild 53, S. 49. Nach rechts führt hier ein Radweg. Ein Radfahrstreifen wäre ebenfalls möglich.

Das wesentliche Merkmal einer Fahrradweiche an einer Kreuzung einer Hauptverkehrsstraße ist die zeitliche Entkopplung der räumlichen Trennung von Geradeaus- und Rechtsabbiegeverkehr bei Fahrrad- und Kfz-Verkehr. Da, wo der Kfz-Verkehr den Radfahrstreifen quert (unterbrochene Trennlinie), sind die Radfahrer nach rechts bereits abgebogen. Und den Verflechtungsbereich kann man so kurz wie möglich ausführen, um die Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs zu reduzieren. Bochum hat schon vorgemacht, wie das geht: An der Unistraße, der Essener Straße und am Harpener Hellweg. An diesen Kreuzungen wurde der Verflechtungsbereich zusätzlich durch Trennelemente von der Fahrbahn getrennt und der Radfahrstreifen so zusätzlich abgesichert.

Auch die Studie von 2019 kommt zu dem Schluss:

Werden RiM mit Regelbreite und ausreichend lang markiert, haben sie das Potential für eine positive Wirkung auf die Radverkehrssicherheit.

Studie »Einsatzbereiche von Radfahrstreifen in Mittellage« TU Berlin 2019, S. 41.

Ein Kommentar bei „»RiM« – Todesstreifen oder Best Practice?“

  1. Tim Rollmann sagt:

    Mein Kind sitzt mit seinen Augen etwa 80cm über der Fahrbahn.

    Ganz toll, da in riesige LKW Reifen reinzugucken. Schon der normale PKW Verkehr ist für ein Kind beängstigend.

    Auch auf anderen Todesstreifen hatte mein Kind Angst.
    Gesagt hat er es auf der Wasserstr., Bäckerei Bäumer. Grund war, dass der motorisierte Verkehr einen Dreck auf Überholabstände gibt und gleichzeitig selbst mit 1,5 m Seitenabstand bei Regen einen gigantischen Lärmpegel erzeugt.
    Ebenfalls so auf der Unistraße, auch da hatte mein Kind Angst.

    Das geht nicht nur meinem Kind so.
    Und das geht nicht nur Kindern so, sondern auch Erwachsenen.
    Wer möchte denn bitte mit Angst radfahren?

    Fahrradinfrastruktur, die Angst macht, wird nicht genutzt.

    Ob diese Todesstreifen wirklich sicherer sind als baulich getrennte Radwege, wage ich zu bezweifeln.
    Es gibt Zahlen, dass deutsche Radinfrastrukur weniger Radunfälle produziert, als niederländische. Ich habe die Zahlen überflogen und kann das nicht glauben.

    Ich habe mehr die Vermutung, dass Fahrradunfälle in Deutschland nicht korrekt erfasst werden.
    Persönliche Anekdoten haben keine allgemeingültige Aussagekraft, aber:
    Ich weiss, dass es in Bochum Radunfälle, auch mit Krankenwageneinsatz gibt, die nirgends statistisch erfasst werden.

    Ebenfalls allgemein bekannt ist, dass die Polizei viele Alleinunfälle aufnimmt, die bei näherer Betrachtung gar keine Alleinunfälle sind, sondern auf Probleme in der Radinfrastruktur zurückgehen.
    Nachzulesen bei vielen ADFCs.

    Worauf ich hinaus will: Ich habe Zweifel, ob die Daten zur Sicherheit von der deutschen Radinfrastruktur korrekt sind.

    Ich habe ernsthafte Zweifel, dass deutsche Radwegkonzepte(Oft Todesstreifen) sicherer sein sollen, als die baulich getrennten niederländischen Radwege. Deren Hauptunfallschwerpunkt, die Abbiegesituation, haben die entschärft.

    Die Niederländer sind international als MEISTER der Verkehrsplanung bekannt.
    Schwer zu glauben, dass diese deutschen Radwege, welche (mit einigen regionalen Ausnahmen) überwiegend wirr, chaotisch und angstmachend sind(Auf diesem Blog sehr gut nachlesbar), angeblich ein sichereres Konzept beinhalten.

    Und selbst wenn dem so wäre: Die subjektive Sicherheit ist vielleicht sogar wichtiger als die objektive.

    Ich kann mit meinem Kind nirgendswo langradeln, wo es Angst hat.
    Und ich selbst radele da auch nicht lang. Ich meide Todesstreifen, wo es nur geht.

    Warum man im Mark 51 7 trotz jedem Platz der Welt und den entsprechenden Fördermitteln nicht Hochbordradwege angelegt hat, ist mir rätselhaft.

    Man muss auch nur mal angucken, wo viel und wo wenig geradelt wird:
    Baulich getrennte Wege wie der Springorum Radweg: Viel los, ganzjährig Pendler, inklsuive KINDER.
    Todesstreifen: Fast nirgends was los.

    Kaum jemand will auf Todesstreifen radeln, so gelingt keine Verkehrswende.

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