Bochum: Was heißt hier »langfristig«?

Fahrräder an der Realschule Höntrop 1983 (Bild: Stadt Bochum)

Bild: Fahrräder an der Realschule Höntrop 1983 (Bild: Stadt Bochum)
Die Fahrradgeschichte in Bochum ab 1945 lässt sich in vier Phasen teilen:

1945 – 1962 Fahrradstadt Bochum (17 Jahre)

Vor 1945 und danach bis 1962 war Bochum Fahrradstadt. Stadtbaurat Clemens Massenberg plante vorrangig ein exzellentes Radwegenetz. Ein eigenes Auto konnte man sich im Kohlenpott ja gar nicht leisten.

1962 – 1988 Autostadt Bochum (26 Jahre)

1962 hat Bochum die radikale Verkehrswende vollzogen. Radwege wurden Parkplätze. Erst kam Opel mit drei Werken, dann der Außenring mit dem Opel-Ring, die Universitätsstraße und die RUB. Bochum wurde komplett autogerecht überplant. Fahrräder spielten keine Rolle.

1988: Das »Pilotprojekt Radwege- und Beschilderungsplan Bochum«

Die erste Kurskorrektur. Der Radverkehr sollte wieder – wenigstens ein bisschen – berücksichtigt werden.
Für Bochum war das Projekt ein ungeliebtes Kuckuckskind. Nicht Bochum wollte das, sondern der Bochumer Landesminister Christoph Zöpel. Wäre es nach ihm gegangen, Bochum wäre 1993 Gründungsmitglied der AGFS NRW gewesen. Aber Bochum wollte nicht und hatte noch 2007 Angst davor.

1999: Bochum erstellt ein Radverkehrskonzept.

Geplantes Radverkehrsnetz Bochum 1999 (4K)
Geplantes Radverkehrsnetz Bochum 1999 (4K)

Vor 25 Jahren stellte Bochum erstmals seit 1945 ein Radverkehrskonzept vor. In Anlehnung an das Pilotprojekt wurden Alltags- und Freizeitnetz sowie Haupt- und Nebenstrecken unterschieden.

2015: Mobilitätskonzept Bochum

Für das Mobilitätskonzept steht als erstes Ziel

der Umbau der City-Radialen, zum Beispiel Hattinger Straße, Castroper Straße, Königsallee und Alleestraße, mit einer Neuaufteilung des Straßenquerschnitts1

»Das Ziel lautet seit 2013, Alltagsrouten für den Radverkehr zu attraktivieren und Lücken im Netz zu schließen. Die Stadt Bochum wird in den nächsten Jahren insbesondere die wichtigsten Achsen des Radverkehrsnetzes nach und nach mit Radverkehrsanlagen ausstatten und so das Angebot auf den Alltagsrouten deutlich verbessern.«2

Im Mobilitätskonzept war im Kapitel 9 zu lesen:

»Die Hauptstrecken des Alltagsverkehrs führen im vorliegenden Radverkehrsnetz zum größten Teil über die strahlenförmig vom Stadtzentrum abzweigenden Hauptausfallstraßen (Herner Straße, Castroper Straße, Universitätsstraße, Königsallee, Alleestraße, Dorstener Straße und mit Einschränkungen Wittener Straße und Hattinger Straße). Das war auch schon im “langfristigen Idealnetz“ von 1988 [Pilotprojekt] der Fall und begründet sich aus der auch heute noch aktuellen Vielzahl von Zwangspunkten – bedingt durch große Ausdehnungen von Barrieren wie z.B. Werksgeländen, die Rad- wie auch Fußgänger und Kfz-Verkehr passieren müssen. Ein Abweichen von den Hauptverkehrsstraßen zwischen diesen Zwangspunkten führt oft zu großen Umwegen, da es nur wenige parallel verlaufende Nebenstraßen gibt. An den Hauptverkehrsstraßen liegen viele wichtige Zielpunkte für Radfahrer, die bei Führung des Radverkehrs über Nebenstraßen nur indirekt angebunden werden könnten. Aus diesem Grund sind inzwischen auf den meisten Hauptausfallstraßen – auf Teilstücken – Radwege vorhanden oder im Bau.«
(Der Text ist mittlerweile nicht mehr abrufbar.)

2015 wusste Bochum also noch, was 1988 herausgearbeitet worden war. 2023 war das dann ganz anders:

2023: Bochum bekommt ein neues Radverkehrskonzept.

Die wichtigste Neuerung: Bochum soll mit Velorouten erschlossen werden – abseits der Hauptverkehrsstraßen. Bochum macht auch dazu Anleihen beim Pilotprojekt von 1988 – beim Freizeitverkehr.

Das Pilotprojekt hatte für den Alltagsverkehr aber schon vor 36 Jahren festgestellt:

Die geradlinigsten, kürzesten und gleichzeitig schnellsten Verbindungsstrecken des Alltagsverkehrs führen über die strahlenförmig vom Stadtzentrum abzweigenden Hauptausfallstraßen. Langfristig ist daher ein Ausbau der Hauptausfallstraßen anzustreben, der das Sicherheitsbedürfnis des Radverkehrs angemessen berücksichtigt.

Pilotprojekt 1988, Seite 16

Seit 2023 führt die Stadt Bochum bei allen Planungen für Velorouten vor, dass sie nicht in der Lage ist, die 2023 selbst gesetzten Vorgaben für Velorouten einzuhalten. Den beteiligten Bezirksvertretungen geht es vor allem darum, die vorhandenen – legalen oder nicht legalen – Parkmöglichkeiten auf den Fahrbahnen zu erhalten.

Was heißt hier »langfristig«?

Das Pilotprojekt verlangte 1988 »langfristig« die Radialstraßen so auszubauen, dass sie dem Sicherheitsbedürfnis des Radverkehrs entsprechen. 2025 ist davon nicht viel zu sehen.
Wenn 37 Jahre nicht genug sind – was heißt dann »langfristig«?
Ein Menschenleben? Oder reicht selbst das nicht?
Müssen wir davon ausgehen, dass Bochum auch einhundert Jahre nach 1962 nicht fahrradfreundlich sein wird? 63 Jahre sind seitdem schon vergangen. Bleiben noch: 37 Jahre.

Und was heißt »mittelfristig«?

Die Verwaltung betont gern »mittelfristig« sei die eine oder andere Maßnahme geplant, um die Diskriminierung des Radverkehrs in Bochum zu verringern. Laut Mobilitätskonzept verfolgt Bochum das Ziel,

mittelfristig auf den Cityradialen und Hauptverkehrsstraßen Radverkehrsanlagen einzurichten

Bei Gelegenheit habe ich die Leiterin des Tiefbauamts, Frau Düwel, gefragt, ob sie mir mal erklären könnte, was »mittelfristig« bedeutet.

Sie war dazu nicht in der Lage.

Auch in Bochum durchaus üblich ist folgende Einteilung3

  • kurzfristig: maximal zwei Jahre
  • mittelfristig: 2-5 Jahre
  • langfristig: mehr als 5 bis 10 Jahre.

  1. https://www.bochum.de/Amt-fuer-Stadtplanung-und-Wohnen/Mobilitaetskonzept (abgerufen 27.05.2025) ↩︎
  2. https://www.bochum.de/media/Leitbild-Mobilitaet (Pdf) ↩︎
  3. https://www.bochum.de/C125830C0042AB74/vwContentByKey/W2CUT74K671BOCMDE/$File/3_Endbericht_Nahmobilitaetskonzept_Bochum_Hamme.pdf
    https://www.bochum.de/C125830C0042AB74/vwContentByKey/W2CUT83P234BOCMDE/$File/2_Mobilitaetskonzept_Campus_BO_Mark517.pdf ↩︎

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