Schwerer Radunfall an der Hattinger Straße am 18.10.2025.
Bild: Unfallstelle mit Markierungen von der Unfallaufnahme.
Polizei Bochum:
Ein Radfahrer ist nach einem Alleinunfall in Bochum-Weitmar am Samstagmorgen, 18. Oktober, reanimiert worden.
Nach bisherigem Kenntnisstand befuhr der 81-jährige Mann aus Bochum gegen 10.13 Uhr mit seinem Fahrrad die Hattinger Straße in Fahrtrichtung Bochum-Mitte. An der Kreuzung zur Heinrich-König-Straße überquerte er die Fahrbahn, um auf den Radweg zu fahren, der auf dem dortigen Fußgängerweg fortgeführt wird. Dabei blieb er am Bordstein hängen und stürzte.1
Am 22.10. ist der verunfallte Radfahrer im Krankenhaus verstorben. Die Polizei vermutet einen internistischen Notfall als Auslöser des Unfalls.2
Die Hattinger Straße hat zwischen Wuppertaler Straße und Heinrich-König-Straße keinen Radweg. Auch der Gehweg ist an keiner Stelle für Radverkehr freigegeben. Der Radfahrer musste bis dahin auf der Fahrbahn fahren.
Erst hinter dem Abzweig Heinrich-König-Straße beginnt ein schmaler, alter, nicht benutzungspflichtiger Radweg Richtung Mitte. Die Heinrich-König-Straße ist hier eine Einbahnstraße Richtung Markstraße.
Der Unfall geschah an der östlichen Seite der Heinrich-König Straße. Es gibt von Linden her einen Fahrstreifen für Rechtsabbieger in die Heinrich-König Straße. Für diesen Rechtsabbiegestreifen wurde der Gehweg schmaler gemacht. Im Kreuzungsbereich gibt es keine Ampeln mehr. Ob der Radfahrer bis dahin auf der Fahrbahn oder verbotswidrig auf dem Gehweg gefahren war, ist unklar. Von der Fahrbahn aus ist der Radweganfang nicht sicher erreichbar.


Die Furt über die Heinrich-König-Straße befindet sich rechts von dem blauen Schaltkasten im Hintergrund. Wie soll man diese Furt mit dem Fahrrad erreichen können?
Denkbar sind drei Wege:
Von dem Geradeaus-Fahrstreifen aus, vom Rechtsabiegestreifen aus oder vom Gehweg aus.
Erlaubt ist nur die erste Möglichkeit. Aber dieser Weg ist praktisch nicht fahrbar. Man müsste vier 90°-Kurven auf engstem Raum bewältigen: rechts – links -links -rechts. Und an der entscheidenden Stelle ist ein Bordstein im Weg.

Dahinter beginnt ein nicht benutzungspflichtiger Radweg, der keiner sein dürfte und weder Radweganfang noch Radwegende hat.

Wo kam er her, wo wollte er hin?
Die ERA 2010 sagen seit nunmehr 15 Jahren klar und eindeutig, wie ein Radweganfang bzw. -ende aussehen muss:
Der Übergang zwischen Seitenraum und Fahrbahn bzw. umgekehrt ist so auszubilden, dass er mit Fahrrädern stoßfrei in direkter Führung und ohne Verschwenkungen erreicht bzw. verlassen werden kann.3
Keine dieser Anforderungen ist hier auch nur ansatzweise erfüllt.

Wie soll man mit dem Rad überhaupt da hinkommen?
Der Radweg ist in Gegenrichtung freigegeben, obwohl er schon für ein Fahrrad viel zu schmal ist und keinerlei Sicherheitsräume zum Gehweg und zu den parkenden Autos hat.
Auch Radwege ohne Benutzungspflicht sollen entsprechend den Vorgaben der ERA gebaut und unterhalten werden.4
Die Verwaltungsvorschrift zur StVO sagt dazu:
Eine Benutzungspflicht kommt in der Regel außerhalb geschlossener Ortschaften, ein Benutzungsrecht innerhalb geschlossener Ortschaften ausnahmsweise in Betracht.
Am Anfang und am Ende einer solchen Anordnung ist eine sichere Querungsmöglichkeit der Fahrbahn zu schaffen.
Voraussetzung für die Anordnung ist, dass die lichte Breite des Radweges einschließlich der seitlichen Sicherheitsräume durchgehend in der Regel 2,40 m, mindestens 2,0 m beträgt.
Keine dieser Grundbedingungen ist an dieser Stelle erfüllt.
Wollte der Radfahrer etwa diesen »Radweg« von der Heinrich-König-Straße aus erreichen?
Kein Wunder, dass der 81-Jährige an dieser Aufgabe gescheitert ist.
Die Situation an der Heinrich-König-Straße ist eine lebensgefährliche Falle. Dieser Unfall ist nicht der erste in Bochum, bei dem ein Radfahrer schwer verletzt wurde, weil er von der vermeintlich gefährlichen Fahrbahn auf den vermeintlich sicheren Radweg wechseln wollte.
Bordsteine sind für Radfahrer lebensgefährlich. Wahrscheinlich noch gefährlicher als Straßenbahnschienen in der Fahrbahn. Und viel häufiger. Sie lauern überall.
Über Radwegenden wird viel geschrieben und gesprochen, besonders, wenn Radwege im Nichts enden. Über den Anfang von Radwegen wird selten gesprochen. Der Wechsel von der Fahrbahn auf den Radweg darf aber keine Gefahr darstellen.
Wenn man die gesamte Radverkehrsführung an der Hattinger Straße zwischen Wuppertaler Straße/Munscheider Damm und Hüttenstraße in den Blick nimmt, bekommt man Albträume.
Benutzungspflichtige Radwege hat die Hattinger Straße nur vom Anfang am Schauspielhaus bis zur Hüttenstraße (tiefster Punkt hinter dem Bergmannheil).



Jeder Radweg muss ein baulich ausgeführtes Radwegende mit Übereleitung auf die Fahrbahn haben. Die ERA sagen sogar:
Ein Radweganfang oder -ende ist auch erforderlich, wenn sich die Benutzungspflicht
im Verlauf baulich angelegter Radwege ändert. An Radwegenden wird der Radverkehr durch entsprechende Bordführungen oder Schutzinseln baulich vom Kraftfahrzeugverkehr getrennt auf die Fahrbahn geführt.



Bis 1962 hatte die Hattinger Straße Radwege. Man kann sie noch heute sehen. Unter den parkenden Autos. In mehr als 60 Jahren hat es die Stadt Bochum nicht geschafft, auch nur ansatzweise den Zustand aus der Nachkriegszeit wiederherzustellen.
Was man heute an der Hattinger Straße sieht, ist abgrundtiefe Ignoranz, grauenhafte Inkompetenz und damit pure Fahrradfeindlichkeit. Das sind Mitursachen für den Unfall am 18.10.2025.
So muss jeder Radweganfang und damit auch jede Furt über eine Fahrbahn gestaltet sein:
- Direkte Führung: einfach geradeaus auf den Radweg fahren.
- Ohne Verschwenkungen: keine Kurven. Bordsteinkanten müssen rechtwinklig zum Radweg verlaufen.
- Stoßfrei: Bordsteinabsenkung auf Null.

Direkte Führung? Ohne Verschwenkungen? Stoßfrei? Keine Konflikte mit Fußgängern?
Und nach fünf Metern ist alles wieder vorbei.
Es gibt nur eine Möglichkeit, die Situation schnell zu verbessern: Aufhebung aller Radwegreste durch Ausschilderung als Gehweg.
Auf der Fahrbahn kann man schnell und einfach Sharrows5 aufbringen. Essen hat es vorgemacht.


Die neue Minderheitskoalition in Bochum hat aber anscheinend null Bock auf Radverkehr.
Dazu der Grünen-Fraktionschef Sebastian Pewny: Nachdem in den vergangenen fünf Jahren der Ausbau des Radwegenetzes im Fokus gestanden habe, was den Bochumerinnen und Bochumern und auch dem Koalitionspartner viel abverlangt habe, soll nun vor allem der öffentliche Nahverkehr weiter entwickelt werden.6
Gute Aussichten für die Hattinger Straße?
- https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11530/6140337 ↩︎
- https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11530/6144008 ↩︎
- ERA 2010, S. 78 ↩︎
- ERA 2010, S. 21 ↩︎
- https://de.wikipedia.org/wiki/Anteilig_genutzter_Fahrstreifen ↩︎
- https://www.waz.de/lokales/bochum/article410276125/spd-und-gruene-in-bochum-bilden-koalition-ohne-eigene-mehrheit.html (WAZ plus) ↩︎
Tragisch.
Umso ärgerlicher, dass die Verkehrspolizei sowas als „Alleinunfall“ erfasst.
Selbst schuld also.
Wo doch eindeutig die Radinfrastrukturtrümmer dran schuld sind.
Das ordnet die Polizei ständig falsch zu.
Auch im letzten Rad-Pressestatement der Polizei war sinngemäß zu lesen:
„Radler, haltet euch an die Radwege, dann gibts weniger Alleinunfälle.“
Lächerlich.
Die Polizei muss auf diese Fehler hingewiesen werden, sonst ziehen die Radwegplaner falsche Schlüsse.
Mein Beileid an die Angehörigen.